Unmögliche Heimat

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Unmögliche Heimat<br>eine deutsch-jüdische Geschichte

von Katrin Müller de Gámez

‚Deutsch-jüdische Geschichte’, schon dieser Teil der Überschrift weist darauf hin, dass die Lektüre nicht einfach ist. Nicht geeignet für einen entspannten Leseabend auf dem Sofa. Das verhindert schon der hin und wieder etwas redundante und langatmige Schreibstil. Aber wer sich auf den manchmal nicht ganz einfach formulierten (oder übersetzten) Text einlässt, erhält eine gute Einführung zu dem Thema.

Anthony Kauders bietet, gestützt auf viele Quellen, wie der umfangreiche Anmerkungsapparat und die 15 Seiten umfassende Bibliographie belegen, einen detailreichen Überblick über sechzig Jahre deutsch-jüdische Geschichte in der Bundesrepublik und dem wiedervereinten Deutschland.

Schmerzlich vermisst der Leser allerdings die entsprechenden Ausführungen für die ehemalige DDR. Aber schon der Titel spart diesen Teil der Geschichte aus. Vielleicht wird eine spätere Veröffentlichung dieses Manko korrigieren.

Die sechs Hauptkapitel des Buches befassen sich jeweils mit vom Autor definierten grundlegenden Aspekten der Entwicklung, untergliedert in Einzelthemen, die manches näher beleuchten. Besonders das Thema ‚Schuld/Schuldgefühle’ wird intensiv betrachtet. Und zwar sowohl die ‚Schuld der Täter’ als auch die ‚Schuldgefühle der Juden, die sich entschieden haben, wieder im Land der Täter zu leben’.

Die stark belasteten Anfänge nach dem Zweiten Weltkrieg, das Unverständnis besonders in Israel über die Remigration von Juden nach Deutschland und die Rechtfertigung der eigenen Existenz, waren die größte Herausforderung in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhundert, die die in Deutschland (wieder) lebenden Juden zu bewältigen hatten. Kauders liefert hierfür verschiedene Erklärungsansätze, gibt Denkanstöße und verschweigt auch nicht die innerjüdischen Diskrepanzen, die diese Themen begleiteten.

Dabei zeigen die Quellen, dass es bei den Diskussionen um ‚jüdisches Leben in Deutschland’ nicht nur um jüdische Traditionen und Religion ging, sondern gerade bei den jüngeren Juden immer auch um das Leben in einer pluralistischen und toleranten Gesellschaft. Das war und ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, das alle in Deutschland lebenden Menschen betrifft. Besonders die schwache religiöse Bindung der Jungen – wie auch in der bundesrepublikanischen nicht-jüdischen Bevölkerung zu beobachten – löste in den jüdischen Gemeinden Ängste der totalen Assimilierung aus.

Der Versuch, durch ein Verbot von ‚Mischehen’ dem entgegenzuwirken, stieß auf kein Verständnis. Eine Abschottung in größerem Umfang fand nicht statt. Das Auf und Ab in der Entwicklung der Bundesrepublik betraf eben alle Bevölkerungsgruppen. Gerade in der ‚68er-Zeit’ kam es auch in der jüdischen Bevölkerung zwischen den Jungen und den ‚Patriarchen’ der Gemeinden zu heftigen Auseinandersetzungen. Starre Vorgaben zum Lebensstil wurden nur noch selten beachtet.

Kauders weist dies alles detailliert nach, ohne dabei das heftige Ringen um eine ‚jüdische Identität’ innerhalb der Mehrheitsgesellschaft zu verschweigen.

Bis zum Mauerfall lebten ungefähr 20 000 bis 30 000 Juden in der Bundesrepublik in kleinen und kleinsten Gemeinden, zu einem nicht geringen Teil fast völlig assimiliert. Das änderte sich mit der Einwanderung zehntausender Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Nach Kauders gibt es eine interessante Trennung: ‚die deutschen Juden kümmern sich um die Politik – das Verhältnis zu Israel, die Wiedergutmachung und die Demokratie in Deutschland – und die osteuropäischen Juden kümmern sich um die Religion.’

Wobei eher die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Osteuropa geflüchteten Juden gemeint sind, als die in den 90er Jahren aus der damaligen Sowjetunion eingewanderten, die zur jüdischen Religion kaum einen Bezug hatten. Schon durch die nun größere Anzahl Juden in Deutschland, nimmt dabei die Öffentlichkeit mehr Anteil an den innerjüdischen Diskussionen um das Judentum in Deutschland.

Wie sieht nun die jüdische Zukunft in Deutschland aus? Kauders lässt die Frage offen, sieht aber klar die Tendenz, dass es ‚keine religiös-kulturelle Renaissance des deutschen Judentums’ mehr geben wird. Die Weimarer Zeit ist endgültig vorbei. Kauders verweist auf die Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika: ‚auch in den USA heiraten immer mehr Juden Nichtjuden, auch dort untergräbt die Suche nach dem individuellen Glück den ethnischen Separatismus….. übrig bleibt im günstigsten Fall die Religion.’

Ein ‚jüdischer Raum’ in der Gesellschaft mit jüdischer Atmosphäre, Museen, Vorlesungen zu jüdischer Philosophie, Klezmer-Musik und Bagels - Angebote, die nicht nur von Juden wahrgenommen werden - ist das nach Kauders wahrscheinlichste Zukunftsszenario. Dazu gehört auch eine sichtbare Ausübung religiös-kultureller Praxis als Zeichen jüdischer Identität, allerdings ohne ethnische Abschottung. Die gegenwärtige pluralistische Gesellschaft und die Tatsache, dass Juden schon immer ein Teil Europas und seiner Geschichte gewesen sind, läßt eine derartige  Abschottung nicht zu.

Kauders beschreibt in seinem Buch eine Entwicklung über sechzig Jahre, die nach schwierigen Anfängen heute in die Richtung eines ‚neuen europäischen (deutschen) Judentums’ deutet. Umso befremdlicher muten daher allerneueste Berichte in den Medien an, wonach eine Geheimdienstorganisation der israelischen Regierung in Deutschland neuerdings versucht, russische Zuwanderer nach Israel abzuwerben und der wachsenden Entfremdung russischsprachiger Juden von Israel und dem Judentum zu begegnen.

Das klingt ganz nach einem Fortbestehen des von Kauders beschriebenen Unverständnisses in Israel über die Ansiedlung von Juden im ‚Land der Täter’, aus den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Zumal von einer ‚gefährlichen Assimilation ehemaliger sowjetischer Juden in Deutschland’ geredet wird, der entgegenzutreten sei.

Die empörten Reaktionen von jüdischer Seite in Deutschland deuten daraufhin, dass Kauders vorsichtige Formulierung im Hinblick auf ein ‚neues europäisches (deutsches) Judentum’, nicht aus der Luft gegriffen sind. Der provokante Titel seines Buches ‚Unmögliche Heimat’ stimmt so nicht mehr.

KMdG

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