Unbekanntes Kleinod: die Dorfkirche von Tempelhof
(MATI)Die Gründung von Tempelhof geht auf den christlichen Orden der Tempelritter zurück. Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß die alte Dorfkirche, idyllisch gelegen im Alten Park am Reinhardtplatz, ebenfalls aus dieser Zeit stammt.
Erbaut im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, gehörte sie zur damaligen Komturei des Ordens. Der ungewöhnliche Standort außerhalb des alten Dorfangers auf einer kleinen Anhöhe war bewußt gewählt worden. Gemeinsam mit den noch heute existierenden Teichen bildete sie einen wichtigen Teil der Wehranlage des Tempelhofes.
Schutz vor Angreifern
Bei Kriegen oder Überfällen konnten sich die umliegenden Anwohner in den Schutz des aus Feldsteinen errichteten Kirchengebäudes flüchten. Als Saalkirche konzipiert, hat sie im Laufe der Jahrhunderte nicht nur mehrere Besitzerwechsel sondern auch viele Umbauten und von Anfang auch einige Zerstörungen und Wiederaufbauten erfahren.
Fenster wurden verändert oder neu hinzugefügt, Fassaden neu gestaltet, Türme errichtet, Schmuckelemente angebracht, Innenaufteilungen verändert. Fast alle Baustile, die während der bald 800 Jahre ihrer Existenz "modern" waren, fanden zeitweise ihren Widerhall in diesem Bauwerk.
Die größte mittelalterliche Dorfkirche
Heute ist sie mit 235 qm Innenfläche die größte der mittelalterlichen Dorfkirchen Berlins. Und obwohl die Dorfkirche Marienfelde die älteste "erhaltene" Dorfkirche ist, "sind wir wahrscheinlich der Mutterstandort" der alten Dorfkirchen im Teltow, da "die Ausbreitung hier ihren Anfang nahm", so Pfarrer Jörg Kluge.
Nach der Vernichtung des Templerordens wegen "sittlicher Verfehlungen" , wechselte um 1310 mit den Ländereien auch die Dorfkirche in den Besitz des Johanniterordens. Für die Bewohner des Ortes hatte sich damit zwar der "Herr" geändert, aber sicher kaum die Lebensumstände.
1435 kam es dann zur "Tempelhofer Fehde". Die Ratsherren der erst 1432 entstandenen Doppelstadt Berlin-Cölln meinten, die Johanniter hätten die Grenzsteine ihrer Komturei zu ihren Gunsten verschoben. Grenzverletzungen waren mit die schändlichsten Vergehen dieser Zeit.
Als Reaktion trommelten die Johanniter eine Streitmacht ihrer Ritter und die wehrfähigen Männer der Komturei zusammen. In der Nacht zum 24. August sollte Berlin-Cölln vom Cöpenicker Tor aus überfallen werden. Doch die Bürger waren gewarnt worden. Die städtische Reiterei fiel den Johannitern in den Rücken, beide Seiten erlitten schwere Verluste.
Johanniter verkaufen ihren Besitz
Nach dieser Niederlage und da die Verwaltung der Johanniter unter ständigem Geldmangel litt, verkaufte der Orden noch im September des selben Jahres seinen gesamten Besitz im Teltow an die Doppelstadt für die hohe Summe von 2439 böhmischen Groschen (Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde und Richardsdorf / Rixdorf).
Im Neuköllner Bezirkswappen ist immer noch das Johanniter-Kreuz zu sehen und erinnert an die bewegten Zeiten.
Es ließe sich darüber spekulieren, ob diese "Erweiterung" ihres Territoriums der Doppelstadt nicht sehr zupaß kam... Als jedenfalls der Kurfürst versuchte, die Rechtmäßigkeit der Lehen außerhalb der Stadt, wo sich nun auch einfache Bürger Landeigentum zugelegt hatten, zu überprüfen, kam es zum sogenannten "Berliner Unwillen"; doch das ist ein anderes interessantes Kapitel der Geschichte.
Zahlreiche Umbauten
In den folgenden Jahrhunderten wurde, wie bereits erwähnt, immer wieder an der Dorfkirche gebaut. Sie überstand die Reformation, den Dreißigjährigen Krieg - wenn auch geplündert -, fremde Invasoren, die Befreiungskriege, Wirtschaftskrisen, Hungersnöte, Pest und Cholera.
1848 erhielt sie die erste Orgel und ein schönes Rundfenster in der Apsis. Der kleine Friedhof, der um sie herum entstand, enthält die Gräber bekannter Tempelhofer Kommunalpolitiker und Grundbesitzer sowie nahe der Kirchenseitenwände, eine ganzer Reihe ehemaliger Pfarrer und ihrer Familien.
Alles deutet auf eine stetige Existenz und Beschaulichkeit hin. Bis 1943/44, wo sie im Bombenhagel zerstört wird. Es dauert bis 1954, bis der Wiederaufbau in Angriff genommen wird, der erst 1956 beendet ist.
Charakter blieb erhalten
Der Charakter der schlichten Dorfkirche wurde beibehalten, die schmalen Fenster im Altarraum sind vom Berliner Künstler Paul Ohnesorge aus Buntglas geschaffen worden.
Altar und Kanzel sind einfach gehalten, das geschnitzte Kruzifix kommt aus der holländischen Schule des 16. Jahrhundert. Bundespräsident Heuß stiftete bei der Neueinweihung 1956 die Altarbibel. Der Taufstein ist dem alten Vorbild aus dem 13. oder 14. Jahrhundert, das sich seit 1870 im Märkischen Museum der Stadt befindet, nachempfunden.
An der linken Seitenwand der Kirche hängen Gemälde aus der Heilig-Geist-Kapelle, die Szenen aus dem Alten Testament darstellen. Leider wurde eines der Gemälde aus der Kirche "entwendet"
Künstlerisches Highlight
Ein besonderes Highlight der Kirche befindet sich an der rechten Seitenwand: der Flügelaltar von 1596, der das Martyrium der Heiligen Katharina von Alexandria, der Schutzpatronin der Frauen und Wissenschaften sowie der Berufe, die mit Rädern zu tun haben, darstellt und bis ins letzte Jahrhundert hinein als Altar diente.
Wahrscheinlich ist er ein Geschenk der Kurfürstin Katharina von Brandenburg, von 1601-1603 Besitzerin des Gutes Tempelhof, obwohl die Dame selber bereits 1602 verstorben ist.
Alle Wirrungen überlebt
Wie durch ein Wunder hat der Altar alle Wirren und Zerstörungen der Zeit überlebt. Er ist die von Daniel Fritsch 1596 hergestellte perfekte Kopie eines Werkes von Lucas Cranach d. Ä. (1472/3 - 1553), der 1506 das Original für die Stiftskirche der 1502 gegründeten Universität Wittenberg gemalt hatte.
Cranach, der Freund und Trauzeuge von Katharina von Bora und Martin Luther, Hofmaler dreier Kurfürsten von Sachsen, war ein erfolgreicher Unternehmer und einer der berühmtesten Maler des 16. Jahrhundert.
Seine Portraits und seine religiösen Gemälde locken immer noch Tausende jährlich in die Museen und Kirchen, um seine Werke zu bestaunen. Darstellungen von Märtyrern, also Personen die mit ihrem Leben für ihren Glauben einstanden, waren kurz vor der Reformationszeit ein beliebtes Motiv der Künstler. Auch Cranach hat ihnen viele Darstellungen gewidmet.
Weibliche Heilige
Elf weibliche Heilige (Katharina von Alexandria, Dorothea, Agnes von Rom, Kunigunde von Luxemburg, Barbara, Ursula von Köln, Margareta von Antiochien, Genoveva, Apollonia, Christina von Bolsena, Odilia/Ottilie) und einige Figuren, die deutlich portraithafte Züge der damaligen Herrscher von Sachsen aufweisen, sind auf dem Altarbild der Tempelhofer Dorfkirche vereint. Die Legenden der Heiligen erzählen anschaulich und beredt aus der europäischen Religionsgeschichte und ihren miteinander verwobenen realen und fiktiven Ereignissen.
Die Heiligen Damen sollen aus der Türkei, dem Libanon, Zypern, Italien, Frankreich, Luxemburg, England und Ägypten stammen; zwei von ihnen starben angeblich in Deutschland. Ihre Reliquien sind teilweise über mehrere Länder verteilt. Einige der Heiligen werden sowohl von der katholischen, als auch der evangelischen, anglikanischen und orthodoxen Kirche mit Gedenktagen geehrt.
Schutzheilige
Sie sind die Schutzheiligen von Städten, Dörfern und Landschaften sowie Berufsgruppen, sollen gegen Krankheiten und manch' Unbill des Lebens schützen, können um Hilfe in schwerer Not angerufen werden. Ihre angeblichen oder realen Grabstätten und Reliquien werden Jahr für Jahr von Millionen von Pilgern und Wallfahrern besucht. Im Volksmund sind es oft die alten Bauernregeln, die mit ihrem Namenstag verbunden sind: "Ist an Kathrein das Wetter matt, / kommt im Frühjahr spät das grüne Blatt." "Sonnenschein am Agnestag, / die Frucht wurmstichig werden mag." "Wenn's donnert zu Kunigund, / treibt's der Winter bunt." Thymian, auch als "Kunigunds-Kraut" bekannt, soll, zu Kränzen geflochten, besonders bei Schwangeren wundersame Wirkungen erzielen.
Vielleicht sind auch noch die "Barbarazweige" bekannt? Zweige, vor allem von Apfel- oder Kirschbäumen, werden am 4.12. (Namenstag der Heiligen) vom Baum geschnitten, in Wasser gestellt und wenn sie zu Weihnachten blühen, ist das ein gutes Zeichen für die Zukunft.
Bergleute erhielten am 4.12. ein "Barbaralicht" zum Schutz vor Unheil bei ihrer Arbeit unter Tage. Einer der Damen, Christina von Bolsena, verdanken wir sogar die Einführung des Festes Fronleichnam. 1263 soll dem Priester Peter von Prag auf seiner Pilgerfahrt nach Rom, in Bolsena bei der Messe der Glaube an die Verwandlung von Wein in Blut und Hostie in Fleisch gefehlt haben. Daraufhin tropfte von einer Hostie ein wenig Blut auf den Marmorfußboden und überzeugte den böhmischen Zweifler.
Papst Urban IV. erhob daraufhin im Jahr 1264 das aus Belgien bekannte Fronleichnamsfest zum allgemeinen Kirchenfest.
Gedenkstein für Tsunamiopfer
Noch eine weitere Besonderheit kann man bei einem Besuch der Dorfkirche entdecken. Hier auf dem kleinen Friedhof steht ein Gedenkstein mit den eingravierten Namen der 47 Berliner und Brandenburger Opfer des fürchterlichen Seebebens vom 26.12.2004 im Südpazifik.
Eine Gruppe Betroffener hatte sich seit dem Frühjahr 2005 auf Initiative des Pfarrers Jörg Kluge regelmäßig zusammengefunden, um gemeinsam zu versuchen, die schreckliche Katastrophe zu verarbeiten. Pfarrer Kluge ist seit 20 Jahren in Tempelhof tätig und war 1994 Begründer der Notfallseelsorge in Berlin, die Hilfen für Opfer und Angehörige nach traumatischen Situationen leistet.
"Trauer braucht einen Ort", ist Pfr. Kluge überzeugt und das besonders für diejenigen, die ihre Angehörigen in den Ländern des Südpazifiks begraben mußten oder die das Meer nicht mehr freigegeben hatte.
"Es gab die Zustimmung des Gemeindekirchenrates für eine kostenfreie Stelle", so Pfarrer Kluge. Nach der Überwindung einiger bürokratischer Hürden, konnte das Projekt dann realisiert werden und am Jahrestag, dem 26.12.2005 wurde der Gedenkstein in Anwesenheit von Bundespräsident Horst Köhler nach einem Gottesdienst in der Dorfkirche eingeweiht.
Nützliche Informationen
Dorfkirche Tempelhof
Reinhardtplatz
Küsterin Rosemarie Hasenbein
030 7 52 80 63
sekretariat@ev-kirche-alt-tempelhof.de