Vom Biotop zum Regierungs- und Parlamentsviertel
Regierungsviertel wird der Spreebogen landläufig genannt. Eigentlich ist das falsch. Denn in einer Demokratie und der dazugehörigen Gewaltenteilung muss es korrekt heißen: Parlaments- und Regierungsviertel.
Ein Teil dieses Parlaments- und Regierungsviertels befindet sich im Spreebogen. Dieses wird einerseits vom Kanzleramt, andererseits vom Marie-Elisabeth-Lüders, sowie vom Jakob-Kaiser-Haus und vom Paul-Löbe- Haus dominiert. Sie alle gehören zum sogenannten "Band des Bundes". Diese Gruppe von Gebäuden erstreckt sich auf beide Seiten der Spree und symbolisiert so einen Brückenschlag zwischen Ost und West. Hier haben Bundeskanzleramt und Teile der Bundestagsverwaltung ihren Sitz genommen.
Große Halle des Volkes
Hin und wieder wird der nördliche Teil auch Alsenblock genannt, da sich hier bis Kriegsende ein vornehmes Wohnviertel gleichen Namens befunden hat. Hier sollte sich übrigens - wenn es nach den gigantomanischen Plänen von Hitler und Speer gegangen wäre, nach dem Endsieg die "Große Halle des Volkes " der Hauptstadt Germania erheben.
Biotop
Nach der Teilung der Stadt und dem Bau der Mauer verlief die unmittelbare Grenze zwischen Ost- und West-Berlin, und zwar am Ostrand des Spreebogens. Der Spreebogen war ein idyllischer Ort, abgeschieden, fast ein kleines Biotop. Die Westberliner Bevölkerung betrachtete den Spreebogen als verlängerten Tiergarten. Hier stieg gerade an Sommerwochenenden der Rauch von hunderten von Grills auf, da vor allem die türkische Bevölkerung aus den engen Wohnquartieren des Weddings und Kreuzbergs, die Flächen für sich entdeckt hatten.
Schweizer Botschaft
Einzig das Gebäude der Schweizer Botschaft im alten Alsenviertel hatte die Wirren des Zweiten Weltkrieges und die Schlacht um Berlin in den letzten Kriegstagen überstande. Die Botschaftsangehörigen wurde während der Kämpfe von russischen Truppen kurzerhand für fast zwei Wochen in den Keller gesperrt, während draussen noch heftige Gefechte liefen. Über Moskau gelangten die Gesandtschaftsmitarbeiter nach einigen Monaten zurück in die Schweiz.
Nach dem Krieg zog bald die sogenannte Heimschaffungsdelegation im Gebäude ein. Sie kümmerte sich um die Schweizer Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten und versorgte auch die Berliner Schweizerkolonie mit Nahrungsmitteln.
Der Status der offiziellen Vertretung in Berlin änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg mehrmals. 1949 wurde die Heimschaffungsdelegation in eine Schweizerische Delegation umgewandelt. Anfang der siebziger Jahre wurde sie zum Generalkonsulat.
Im Oktober 1992 wurde schliesslich aus dem Generalkonsulat die Aussenstelle der Botschaft in Bonn, nachdem das deutsche Parlament entschieden hatte, dass Berlin wiederum Hauptstadt und Regierungssitz sei. Das ursprüngliche Gebäudefragment wurde zu einem neuen Ganzen mit einer von Helmut Federle konzipierten reliefartigen Gestaltung der westlichen Brandmauer entwickelt.
Tempodrom
Neben der Kongresshalle entstand ein Zirkuszelt, das Tempodrom, das später dem Bau des Kanzleramtes weichen musste, und heute als fester Theaterbau in der Nähe des Anhalter Bahnhofes steht. Die Gründerin, Irene Moessinger, verwirklichte sich damit einen Lebenstraum. Hier wurden, vor dem Hintergrund der Berliner Hausbesetzerszene der Endsiebziger und achtziger Jahre Rock-Konzerte veranstaltet.
Wieder in der Mitte
Mit dem Fall der Mauer änderte sich die Situation im Spreebogen schlagartig. Das Gelände war wieder in die Mitte gerückt. Nachdem am 4. Oktober 1990 im Reichstagsgebäude das erste freigewählte gesamtdeutsche Parlament seit 1933 zusammengetreten war, wurde ein neues Kapitel für dieses Gelände aufgeschlagen. Hier sollte das neue Parlaments- und Regierungsviertel entstehen.