Neue Chipperfield Entwürfe für Museumsinsel
Mit heftiger Kritik von verschiedenen Seiten war der ursprüngliche Entwurf David Chipperfields zum Eingangsgebäude der Museumsinsel bedacht worden. Im Juli nun legte der Architekt einen neuen, überarbeiteten Entwurf vor:
Durch veränderte Vorgaben war eine Überarbeitung des 2001 von Chipperfield vorgelegten, von den Gremien aus finanztechnischen Gründen aber nicht behandelten Entwurfs notwendig geworden.
Mehrere Faktoren sollten in dem überarbeiteten Entwurf berücksichtigt werden: die veränderten Bedingungen für die innere Struktur des Gebäudes, die sich aus der mittlerweile vorliegenden Planung des angrenzenden Pergamonmuseums ergaben, die Reduktion des Bauvolumens zur verbesserten organischen Eingliederung in das architektonische Umfeld und die Auseinandersetzungmit der öffentlichen Diskussion um den Neubau im historischen Ensemble.
Neues Eingangsgebäude
Ein neues Eingangsgebäude auf der seit 1939 freien Fläche des ehemaligen Packhofgeländes war bereits wichtiger Bestandteil des 1999 verabschiedeten Masterplans. Die hohe Besucherzahl im Museum macht dieses Gebäude nach Ansicht der überwiegenden Zahl der Fachleute unbedingt notwendig. Es soll die historischen Gebäude der Museumsinsel vor Verschleiß schützen und funktional entlasten. Es wird für die künftig vier Millionen Besucher pro Jahr die zentralen Infrastruktureinrichtungen, die Räume für Gastronomie, Orientierung, Information, für Shops und Wechselausstellungen aufnehmen sowie für die Verteilung der Besucherströme sorgen.
Neue Architektur in Anlehung an Stühler
Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, erklärt dazu:„Chipperfield ist es mit seinem Entwurf gelungen, die Stülersche Vision eines arkadische Museumsensembles in zeitgemäßer Form fortzuentwickeln und den Zauber einer Tempelstadt der Künste zur Vollendung zu bringen: mit einer Architektur von beeindruckender Ästhetik und überzeugender Funktionalität.
Durch die große Freitreppe, den offenen Charakter der Architektur und die attraktiven Angebote wird dies ein wahrhaft urbaner Ort für die Berliner und die Besucher der Stadt werden.“
Kommunikativer Charakter der Architektur
Die Architektur hat einen betont kommunikativen Charakter, formuliert das die Häuser ästhetisch und funktional Verbindende und bezieht Innen- und Außenraum in ein reizvolles Wechselspiel ein.
Das historische Motiv der Kolonnaden ist in eine moderne Architektursprache übersetzt und zum bestimmenden Element geworden.
Die zum Lustgarten hin geöffnete und weithin sichtbare breite Freitreppe entspricht der Funktion des Hauses als Empfangsgebäude für den gesamten Museumskomplex.
Sie soll die Besucher mit einer einladenden Geste ins obere Geschoss mit Eingangshalle, Cafe, mit einer auch außerhalb der Öffnungzeiten frei zugängliche Terrasse am Kupfergraben und dem Zugang zum Hauptrundgang im Pergamonmuseum leiten.
Neuer Platz
Zum Neuen Museum hin entsteht mit der Fortführung der Stühlerschen Kolonnaden ein Platz mit einem zweiten ebenerdigen Zugang zur James Simon-Galerie.
Auf dieser Ebene liegen das Auditorium und Seminarräume. Eine Treppe führt nach oben, eine andere nach unten zu den Wechselausstellungen und zur Archäologischen Promenade.
Das Kolonnadenmotiv prägt auch die Westansicht vom Kupfergraben aus: Auf einem hohen, die Architektur des benachbarten Pergamonmuseums fortführenden Sockel erhebt sich ein transparenter, durch filigrane Stabreihung und Glas definierter Baukörper, der vielfältige Einblicke und Ausblicke erlaubt.
Harmonische Bindung
Die einzelnen Baukörper des Entwurfs sind unterschiedlich in der Höhenentwicklung und binden den Neubau harmonisch in das historische Umfeld ein.
Die James Simon-Galerie wird durch die Staffelung ihrer Baukörper und ihre transparente Gestaltung vielfältige Blicke auf die Fassade des Neuen Museums erlauben, andererseits aber auch die heutige ahistorische, komplett freie Sicht auf das Neue Museum vom Kupfergraben aus korrigieren und die historische Ensemble-Struktur wieder herstellen.
Wiederherstellung einer historischen Situation in zeitgemäßer Formensprache
Denn als Stühler das Neue Museum plante, fand er auf dem benachbarten Grundstück am Kupfergraben das Packhofgebäude von Schinkel vor, das 1939 abgerissen wurde. Deshalb formulierte er die Rückfront des Neuen Museums zu diesem Gebäude hin.
Die neue James-Simon-Galerie, heisst es beim Bauherren, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wird hier Angebote machen können, die einem der weltweit größten Museumskomplexe mit seinem internationalen Publikum angemessen sind.
Wichtige Verteilerfunktion
Ebenso zentral ist auch die Verteilerfunktion des Neubaus für die geführten Gruppen, die mehr als die Hälfte der Besucher ausmachen. Von hier aus soll der Weg direkt in den Hauptrundgang im Pergamonmuseum mit den monumentalen Architekturexponaten wie Pergamonaltar und Ischtar-Tor führen. Von hier aus soll man aber auch direkt in die vier der fünf Museen verbindende Archäologische Promenade gelangen.
Historische Eingänge bleiben bestehen
Es bleiben darüber hinaus die historischen Eingänge der einzelnen Museen bestehen, so dass der Neubau nicht zum Nadelöhr wird und gerade auch die individuell interessierten Besucher keine unnötigen Wege gehen müssen.
Der vorliegende Entwurf ist beim Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und bei der Denkmalpflege (Landesdenkmalamt, Landesdenkmalrat, ICOMOS) vorgestellt und diskutiert worden und hat dort große Zustimmung erfahren.
Das Welterbe-Zentrum der Unesco in Paris ist ebenfalls direkt informiert worden. Der Entwurf wird in den nächsten Monaten weiter ausformuliert und präzisiert werden. Baubeginn ist voraussichtlich 2009 und die Eröffnung voraussichtlich 2012.
Sturm der Kritik blieb aus, oder: Was ist eigentlich mit der Initiative „Rettet die Museumsinsel" geschehen?
Vehement hatte die Initiative „Rettet die Museumsinsel“ sich gegen den ersten Entwurf des britischen Architekten gestemmt und sogar ein Volksbegehren angestoßen. Doch nach der Präsentation der neuen Entwürfe scheinen die Akteure gleichsam abgetaucht zu sein. Telefonisch ist die Initiatorin der Initiative, Anette Ahme, derzeit offenbar nicht zu erreichen und auch auf der Website der Initiative findet sich keine Stellungnahme zum neuen Entwurf von Chipperfield.
Feuilleton ist angetan
Das deutschsprachige Feuilleton ist von der Überarbeitung überwiegend angetan: Heinrich Wefing lobt in der FAZ den neuen Entwurf Chipperfields. Er schreibt:
„Konzeptionell ist die Freitreppe nicht weniger als das entscheidende Element des neuen Entwurfs. Der Schalter, der umgelegt wurde und alles verändert hat.
Ursprünglich sollte der Weg durch das Eingangsbauwerk nach unten führen, unter den Hof des Pergamonmuseums.
Seit dessen Unterkellerung aber aus Kostengründen gestrichen wurde, musste es plötzlich aufwärts gehen, und damit konnte eine ganz andere, luftige Architektur entstehen.
Den Preis der jetzt von der Preußen-Stiftung euphorisch präsentierten Überarbeitung, auch das bleibt festzuhalten, zahlen wohl die Kuratoren. Im neuen Konzept sind die für Wechselausstellungen vorgesehenen Flächen in den Hintergrund getreten, genauer: in den Untergrund.
Wer sie erreichen will, muss über eine breite Treppe nach unten steigen, in den Sockel unterhalb der Hochkolonnade. Dort hat Chipperfield mehrere Räume für Kabinettpräsentationen vorgesehen. Sie werden überwiegend Kunstlicht erhalten, was für archäologische Ausstellungen angehen mag, haben in der symbolischen Hierarchie des Gebäudes aber kräftig an Bedeutung verloren.
James-Simon-Galerie, wie ursprünglich geplant, wird man den Neubau kaum mehr nennen können; eher sollte man vom „James-Simon-Flügel“ sprechen.
Die Museumsinsel im Modell
Auch der jetzt vorgelegte Entwurf von David Chipperfield ist beileibe nicht perfekt. Der abweisende Sockel längs des Kupfergrabens hätte durchaus ein paar Öffnungen verdient; die lange Pfeilerreihe der Hochkolonnade droht leicht monoton zu geraten, und der Hof zwischen Eingangsbauwerk und Neuem Museum wirkt arg eng. Doch derlei Schwächen lassen sich leicht beseitigen.
Wichtiger ist, dass mit dem neuen Konzept für Berlins kostbarstes Grundstück ein vielversprechender Weg zwischen Tradition und Zeitgenossenschaft, zwischen Respekt und Selbstbewusstsein gefunden ist. Das ist ein enormer Fortschritt.
NZZ
Claudia Schwarz schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung.
„Nun wurde diese Pflicht zur höheren Ordnung auch an einen englischen Stararchitekten herangetragen. «So nicht, Mr. Chipperfield», raunte es durch den deutschen Blätterwald, nachdem der als «Toilettenhäuschen» und «Gewerbekiste» kritisierte Entwurf des Architekten für einen Neubau auf der Museumsinsel nach Jahren unvermittelt wieder ins Rampenlicht gerückt war: ...
Tatsächlich stellten die schlichten Glasboxen, die etwas einfallslos Chipperfields Figge Museum in Davenport zu kopieren schienen, keine angemessene Antwort dar auf das einzigartige architektonische Ensemble der Berliner Museumsinsel.
Der renommierte Architekt, der in letzter Zeit Erfolge in Marbach (Literaturmuseum der Moderne) oder Essen (Projekt für den Neubau des Essener Folkwang-Museums) feierte, signalisierte zwar seinen Willen zur Überarbeitung.
Doch mit dem Berliner Hang zur Übertreibung trat umgehend die Initiative «Rettet die Museumsinsel» auf den Plan. Prominente Unterstützung fand sie durch den deutschen Unterhaltungs- und Erinnerungsbetrieb von Günter Jauch bis Lea Rosh. Der darauffolgende Architekturstreit hinterließ den Eindruck, dass den selbsternannten Rettern der Baukunst mehr noch als Chipperfields Neubauprojekt dessen Sanierungskonzept für die Ruine des Neuen Museums ein Dorn im Auge war.
Dieses hält das Prinzip des Bewahrens hoch und hat nichts am Hut mit jener Retro-Ideologie, die alles wieder so aufgebaut sehen möchte, wie es vor den Zeitläuften der Geschichte da stand.
Nun hat allerdings Chipperfield mit dem neuen Entwurf seinen Kritikern erst einmal ein Schnippchen geschlagen - so schön klassizistisch sollen sich dereinst nach seinem Plan die Säulen entlang des Kupfergrabens erheben, so selbstverständlich soll eine Freitreppe hinaufführen in die nach dem Stifter der Nofretete benannte James-Simon-Galerie.
Der Architekt hat die betonte Funktionalität des ersten Entwurfes in eine dezidiert zeichenhafte Erschließung des «Berliner Louvre» übergeführt, wie es der Pariser Namensvetter mit Peis gläserner Pyramide vormacht, wobei in Berlin die einzelnen Museen weiterhin auch separate Eingänge behalten.
Chipperfields Entwurf baut nicht nach und rekonstruiert nicht. Er stellt aber - und das ist neu in der altehrwürdigen Ansammlung berühmter Solitäre - einen Dialog her zwischen den einzelnen Gebäuden.
Der Riegel öffnet sich über eine Säulenhalle zum Flussufer hin, lädt die Besucher zum Flanieren und Verweilen ein und unterstreicht den Charakter der Museumsinsel als einer Architekturlandschaft. Aus der Perspektive des Kupfergrabens verdeckt das filigrane Stabwerk einem Vorhang gleich den alltäglichen Museumsbetrieb, der die klassische Ruhe des historischen Kulturerbes stört.
Spree Athen
Diese Architektur will nichts anderes sein als eine Fortsetzung der sie umgebenden antikisierenden Baukunst mit modernen Mitteln. Ein schöner Kompromiss also, der beflissen die Leitmotive Spree-Athens, Säulen, Sockel, Ufermauern und Tempel-Assoziationen, aufzählt und jede eigenständige Aussage verweigert.
Zwar fügt sich Chipperfields Lösung dienend ein in die Hierarchie des Bestehenden. Am Ende verliert sie aber mit einer kaum lesbaren Eingangssituation - unentschlossen zwischen Kollonadenriegel, Estrade und Freitreppe - die eigene Daseinsberechtigung als erschließendes Element. Immerhin bildet die James-Simon-Galerie ja den Übergang ins Pergamonmuseum, ins Neue Museum sowie zur archäologischen Promenade.
Bei solcher Bescheidenheit kann man sich des Gedankens nicht erwehren, ob es nicht besser gewesen wäre, die ganze unvermeidliche Infrastruktur gleich im Berliner Sand zu versenken.
Und mit Wehmut fragt man sich, welchen Weg in die heiligen Hallen Architekten wie Herzog & de Meuron den Museumsbesuchern an diesem weltbewegenden Ort gewiesen hätten?
Zwar sind die Details im Innenausbau erst in Ausarbeitung. Aber der vom Denkmalschutz bereits abgesegneten Außenhülle fehlt es an einer Vision, welche Aufgabe das Museum der Zukunft haben könnte. Insofern schreibt Chipperfields Architektur die Geschichte der Museumsinsel mitnichten fort. Denn Schinkel und Stüler agierten einst kompromisslos zeitgenössisch in ihrem Willen, dem Wesen des Museums eine neue Bedeutung einzuschreiben. Chipperfields Architektur mag ein schöner Kompromiss sein, von der Kraft des Authentischen, die der Genius Loci vorgibt, ist sie nicht beseelt.”
Gesellschaft Historisches Berlin
„Das jahrelange ‘am Ball bleiben’ der Gesellschaft Historisches Berlin e.V. mit Informationsveranstaltungen, Veröffentlichungen, einer Petition an den Deutschen Bundestag und unzähligen Gesprächen hat sich gelohnt:
Der nun vorgestellte Entwurf für ein Eingangsgebäude auf der Museumsinsel des Architekten David Chipperfield geht auf viele Forderungen und Anregungen unserer Gesellschaft ein.
Darüber freut sie sich und kann mit Recht sagen, dass ohne ihren Kampf der Entwurf in der vorliegenden Form nicht ausgefallen wäre.
Die GHB hat immer gefordert, dass, wenn auf der Freifläche vor dem Museum ein Gebäude errichtet wird, dieses sich in seiner Formensprache dem historischen Umfeld anpassen muss, wissend, dass sich die Moderne schwer tut, sich dort harmonisch einzufügen.
Umso erfreulicher, dass dieser Entwurf es kann.
Er nimmt – wie unsere Gesellschaft schon seit einiger Zeit angeregt hat – einen Entwurf von Messel auf und überträgt Ideen daraus in eine zeitgenössische Diktion. Das Zitat ist das Bindeglied zwischen Pergamonmuseum und dem Neuen Museum im Entwurf Chipperfields: der Tempel, die Kolonnade, der Sockel, der Hof.
Der Entwurf ist zunächst ein Rohling. Er stellt die Architektur und das Nutzungskonzept vor. Im Frühjahr 2008 soll er in seiner endgültigen Form vorliegen. Bis dahin wird noch vieles überdacht und überprüft werden müssen: die Baumasse, die Sicht auf das Neue Museum, die Höhe der Kolonnaden und ihre Anbindung an das Pergamonmuseum, die Massivität des Sockels (kann der Sockel eines Tempels mit Fenstern versehen werden?), die zusätzliche Öffnung zum Wasser durch Stufen zur Spree und nicht zuletzt das Material.
Wenn all dies berücksichtigt wird, kann sich das Eingangsgebäude harmonisch in sein historisches Umfeld einfügen, in der Sprache unserer Zeit, aber nicht außerhalb der tradierten Form.
Die Gesellschaft Historisches Berlin bleibt im Dialog!“