Weihnachten I
von Frank Tetzel
Na, wie haben Sie Ihren Heiligen Abend verbracht? Merkwürdig - halb Berlin ist ausgeflogen. Ein Nachbar, der seit zwanzig Jahren in Berlin wohnt, sagte mir am Sonntagmorgen: "Ich fahre nach Hause, wegen der Kinder, wissen Sie!"
Da ziehen sie nun hin: die Schwaben und Hessen, die aus NRW und die Fischköppe und Berlin leert sich so schnell, wie die Autobahn auf ihren Trassen, die Eisenbahn und die Flugzeuge Menschen transportieren können.
Nicht, dass man es wirklch merken würde, oder vielleicht doch? Jetzt findet man bei uns vor der Tür selbst am Abend schneller einen Parkplatz...
Auch wenn es in diesem Jahr keinen Schnee gab: Am Heiligen Abend hört Berlin für einen Wimpernschlag auf, Großstadt zu sein. Der Verkehr wird ruhiger, selbst auf den Hauptverkehrsachsen fahren nur noch sporadisch Autos. Die Ruhe ist tatsächlich spürbar. Die Stadt, sie schweigt. Der Heilige Abend ist ein sehr privates Fest, nicht öffentlich wie Berlin sonst häufig ist , sondern intim. Ein Familienfest. Und es scheint so, als nehme diese einzige deutsche Metropole tatsächlich Rücksicht darauf.
Doch nicht alle von uns können mit der Ruhe und dem Heiligen Abend umgehen. Die monatelang gestellte Frage in vielen Patchworkfamilien: Wo sind die Kinder in diesem Jahr? Nicht selten musste das Familiengericht diese Frage lösen.
Die vielen Singles dieser Stadt fliehen sowieso wenn es irgendwie geht nach Hause - halt nach Ulm, Stuttgart, Karlsruhe, Köln, Hannover, Lübeck oder sonstwohin.
Bei einigen der Daheimgebliebenen sind Oma und Opa nur geduldete Gäste "der Kinder wegen". Eine kurze Unterbrechung der sonst übers Jahr hinweg üblichen, offen ausgetragenen Garstigkeiten, unter denen vor allem Schwiegertöchter und - Söhne, jeder für sich, zu leiden haben, nur schwerlich gedeckelt vom Mantel des achso friedlichen Weihnachtsfestes.
Am Schlimmsten sind die Telefonate mit Familienmitgliedern, mit denen man sich sonst nichts mehr zu sagen hat, und die sich Weihnachten pünktlich wie die Maurer melden. Gut nur, dass es inzwischen Kennungen in Telefonen gibt. "Sag mal Schatz, kennst Du die Nummer, die da anruft? War das nicht Dein Bruder?
Nichts destotrotz; auch dieser Heilige Abend hatte seine wunderbaren Momente: Nichts entschädigt mehr, als die leuchtenden Kinderaugen, wenn die Tür des Weihnachtszimmers aufgeht und die Kerzen am Tannebaum ihr warmes Licht ausstrahlen.
In diesem Sinne, ein frohes Weihnachtsfest