Das Brecht-Weigel-Haus

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Ausflug nach Buckow

Der Hauptstadt nah und doch so fern: der Schermützelsee, an dessen Ufer vor Jahrzehnten Bertolt Brecht und Helene Weigel ein Haus für den Sommer bezogen. Heute gewährt das Brecht-Weigel-Haus museale Einblicke und „erzählt“ interessierten Besuchern mehr über Leben und Arbeit des legendären Theaterpaars.

„Gesucht: Haus im Grünen, gerne Seenähe, kurze Entfernung zu Berlin ideal“ – so oder so ähnlich hätte der Anzeigentext lauten können, mit dem Bertolt Brecht und Helene Weigel ab 1951 ein Domizil für den Sommer im Landstädtchen Buckow zu finden hofften. Im Frühjahr 1952 war die Suche des Ehepaars jedenfalls erfolgreich. Der Dramatiker und Lyriker und seine Frau besichtigten ein Grundstück in der Seestraße Nr. 29 und wussten: Das ist es! Direkt am Wasser unter alten Bäumen standen da ein Atelierhaus und nur wenige Schritte entfernt das sogenannte Gärtnerhaus, perfekt zum Arbeiten wie Erholen und mit viel Platz für Gäste.

Kaum 60 Kilometer liegen zwischen Berlins Mitte, von wo sich einst Bert und Helli – gemeinsam oder auch allein – Richtung Osten in die Sommerfrische aufmachten, und dem brandenburgischen Buckow. Keine große Sache, sicher! Und dennoch trennen Welten das eine vom anderen, wobei sich irgendwo dazwischen vom Verkehr verstopfte Straßen in lauschige Alleen und das lärmige Getöse der Großstadt in idyllische Ruhe verwandeln.

Das gleich von mehreren Seen eingefasste Kurstädtchen ist geografischer Mittelpunkt von Brandenburgs ältestem Naturpark, der mit 205 Quadratkilometern vor allem den südlichen Teil der gleichnamigen Region abdeckt: der Märkischen Schweiz, einer Landschaft voller Gegensätze, die auf kleinstem Raum Berge und Schluchten, Bäche, Seen und Moore, Wälder und Wiesen vereint. Modelliert von den rohen Kräften der letzten Eiszeit. Romantisch, verwunschen, betörend schön. Und ein Paradies für Wanderer und Radler, denen ein gut ausgebautes Wegenetz – vorbei an verschlafenen Dörfern und alten Feldsteinkirchen – die Schätze des Landstrichs erschließt.

Brecht und Weigel. Der linke Schriftsteller und die jüdische Schauspielerin, die so oft in den Stücken ihres Mannes auf der Bühne stand, waren wahrlich nicht die ersten, die das reizvolle Buckow für sich entdeckten. Schon Jahrzehnte, bevor Theodor Fontane, der große Dichter der Mark, den Ort in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ literarisch ehrte, stimmte der Leibarzt Friedrich Wilhelms IV. 1854 sein Loblied auf das gesunde Klima des Ortes an und beschwor seinen Patienten mit den Worten „Majestät, in Buckow geht die Lunge auf Samt!“ zu einem Aufenthalt. Aber erst ein Bahnanschluss befeuerte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den aufkeimenden Tourismus – mit reichlich Ausflüglern aus der nahen Hauptstadt und betuchten Bürgern, die sich hier Villen für eine sommerliche Auszeit bauen ließen.

So entstanden auch in der Seestraße ab den späten 1880er Jahren repräsentative Landhäuser, von denen sich das letzte Haus der Straße, ein Konstrukt aus Eisen und Stahl, jedoch deutlich unterschied. 1910 erwarb der Berliner Bildhauer Georg Roch dieses Grundstück direkt am Ufer des Schermützelsees – die „Eiserne Villa“ war im Jahr zuvor abgebrannt – und baute sich hier sein Atelierhaus, in dem sich unser berühmtes Künstlerpaar vier Jahrzehnte später als Pächter häuslich einrichten sollte.

Über 15 Jahre hatten die beiden nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland im Exil verbracht. 1948 waren sie zurückgekommen. Nach Ost-Berlin. In die sowjetische Besatzungszone. Eine herausfordernde Zeit folgte, politisch wie künstlerisch. Für Brecht und seine Frau wurde Buckow zum Refugium, in dem sie Abstand auch von ihrer gemeinsamen Theaterarbeit am frisch gegründeten und von der Weigel geleiteten Berliner Ensemble fanden – ein Ort kreativer Gedanken und schöpferischer Kraft.

Heute ist das „Brecht-Weigel-Haus“ Gedenkstätte und Museum, wobei aber nicht das ganze Anwesen in der ehemaligen Seestraße 29 Besuchern offensteht. Das Gärtnerhaus, in dem Brecht, bis er 1956 starb, seinen Schlaf- und ungestörten Arbeitsbereich hatte, blieb nach Hellis Tod 1971 (sie hatte beide Häuser kurz zuvor erworben) im Besitz der Erben. Das Atelierhaus, seiner vorübergehend vergitterten Fenster wegen ebenfalls als Eiserne Villa bezeichnet, wurde an den Staat verkauft und kann seit 1977 besichtigt werden.

Die vordere Fassade dieses Hauses ist von Sprossenfenstern durchbrochen, die größeren im Erdgeschoss mit Klappläden versehen, deren ornamentale Bemalung sich in den Holzverkleidungen von Giebelfeld und Dachüberstand fortsetzt. Eine Glyzinie wölbt sich mit knorrigen Armen über die Haustür, hinter der ein Flur eine enge Stiege ins obere Geschoss entlässt, wo sich Helene Weigels altes Schlafzimmer dem Blick der Öffentlichkeit entzieht (außer im Rahmen von Sonderführungen). Anders der kleine Ausstellungsraum neben dem Flur, der einmal Küche war, und jetzt in Schrift und Wort, mit Fotos und Schautafeln Brechts Haltung zum Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in der DDR und, damit zusammenhängend, die Entstehung seines letzten Gedichtszyklus, der Buckower Elegien, dokumentiert.

Von hier führt eine weitere Tür in den wichtigsten Raum der Villa: Rochs früheres Bildhaueratelier, das über zwei Geschosse reicht und 60 Prozent der Grundfläche für sich beansprucht. „Es war das Esszimmer der Familie“, so Juliane Grützmacher, Leiterin des Brecht-Weigel-Hauses Buckow. „Hier saß man mit Gästen, aß zusammen und führte in entspannter Runde wichtige Gespräche.“ Nach Brechts Tod auch ohne ihn.

Ein großer Tisch markiert die Mitte des Ateliers, drumherum ein Sammelsurium an Stühlen. Das wenige Mobiliar, alles original, verliert sich in der hohen Weite des Raums. Ein Vitrinenschrank, eine Truhe, zwei Bänke mit kleinen Tischen auf knarrenden Holzdielen, deren schwarze Farbe vom Drüberlaufen ganz abgeschabt ist. Alles etwas düster und monochrom, ganz anders als die Welt draußen, die Puzzleteilen gleich durch das deckenhohe, von Sprossen unterteilte Fenster hereinschaut.

Wie ein weiteres Zimmer breitet sich der Garten hinter den Scheiben aus – mit hohen Bäumen, deren Kronen den Rasen beschatten, mit Beeten voll duftender Stauden, zwischen denen Kupfertafeln mit Gedichten aus Brechts 1953 verfassten Buckower Elegien einen lyrischen Rundgang beschreiben. Etwas abseits entdecken Besucher das frühere Bootshaus, in dem jetzt Brechts Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ als Paradebeispiel für sein Konzept des epischen Theaters Thema einer Ausstellung ist. Jenes Stück, dessen Titelfigur, die Marketenderin Mutter Courage, mit dem Krieg Geschäfte machen will – neben Bildern, Filmausschnitten, Tonaufnahmen veranschaulicht durch wertvolle Requisiten aus der deutschen Erstaufführung 1949 im Deutschen Theater Berlin. Darunter als Höhepunkt der Planwagen, den Helene Weigel über 400 Mal als Mutter Courage über die Bühnen großer Theater zog.

Es fällt nicht schwer, sich die Schauspielerin und Intendantin in ihrem verzauberten Garten vorzustellen. Gemeinsam mit Freunden und Kollegen. Oder auch allein. Wie sie auf dem Badesteg in der Sonne saß, ein Kreuzworträtsel lösend, einen Krimi oder ihr Strickzeug in der Hand. Wie sie ein paar Schritte weiter an der steinernen Balustrade lehnte, zwischen den beiden Pferdeskulpturen, einem künstlerischen Erbe Rochs – den Blick auf dem Blau des Schermützelsees ruhend, dem größten See der Märkischen Schweiz. Und bestimmt war auch mal ein Tag wie dieser dabei – wenn der Wind die fahlen Gräser am Ufer übermütig zum Tanz aufforderte und sich das Konzert des unermüdlichen Vogelorchesters beinahe im lauten Rascheln der Blätter verlor.

Text und Fotos: Sabine Mattern

Informationen

Brecht-Weigel-Haus Buckow
Bertolt-Brecht-Str. 30 (früher: Seestr. 29);
Öffnungszeiten, Führungen, Veranstaltungen unter www.brechtweigelhaus.de.
(Eine Renovierung des Atelierhauses ist geplant, aber noch ohne Termin; vor Reise und Besuch sicherheitshalber erkundigen!)

Unterkunft
Hotel Bergschlösschen: familiengeführtes Haus mit 14 Zimmern und Ausblick auf Buckow, www.bergschloesschen.com
Romantik Hotel Schloss Reichenow (ca. 14 km bis Buckow): eleganter Bau aus dem späten 19. Jh. am Langen See, mit 22 komfortablen Gästeunterkünften, www.schlossreichenow.com

Infos
www.kurstadt-buckow.de
www.maerkische-schweiz-naturpark.de
www.amt-maerkische-schweiz.de

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