Kirche am Hohenzollernplatz

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Noon Song Die Kirche am Berliner Hohenzollernplatz

von Katrin Müller de Gàmez

Sommerzeit - Zeit des Schlenderns und Entdeckens. Neues und Bewährtes, Unglaubliches und Schönes, bei jedem Spaziergang wird der Flaneur fündig. Und was für ein Glück, wenn dann noch ein schönes Erlebnis mit dem Nützlichen verbunden werden kann? Genau darum geht es jeden Samstagmittag am Hohenzollernplatz in Wilmersdorf.

Neben dem beliebten Wochenmarkt vor der Kirche Am Hohenzollernplatz, der schon lange den Anwohnern für ihren Wochenendeinkauf dient, gibt es seit November 2008 etwas Neues: den „NoonSong”.

Auf dem Markt ist Gewusel, Einkaufskörbe füllen sich. Aber Punkt Zwölf Uhr streben viele Marktbesucher dem Eingang des „Kraftwerk Gottes“ zu, wie die Kirche im Volksmund genannt wird. Mehr als 80 Besucher betreten die 1930 bis 1933 von Fritz Höger erbaute Kirche, die mit ihrem imposanten Stil des Backsteinexpressionismus den Platz dominiert. Auf den Bänken liegt das Programm vom Tage. Die Sonne scheint durch die bunten Glasfenster, der hohe Bau ist von warmem bläulichem Licht erfüllt. Das Altarfenster leuchtet, Kerzen brennen.

Im ’Kraftwerk Gottes’

Unter Orgelklängen beginnt der Einzug von acht Sängerinnen und Sängern in weinroten festlichen Gewändern, gefolgt von ihrem Chorleiter Professor Stefan Schuck und dem Pfarrer. Sie nehmen Aufstellung rechts und links des Altars und beginnen zu singen. Der Raum füllt sich mit Tönen, hell und dunkel, eine meditative Stimmung entsteht. Im A-Cappella-Gesang der professionellen Sänger wird erfahrbar, was Spiritualität bedeuten kann. Bei geschlossenen Augen wird die Entspannung, die der Gesang erzeugt, körperlich spürbar. Eine kurze biblische Lesung  ist eingebettet in das halbstündige Programm aus geistlichen Kompositionen, überwiegend aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Der rituelle Ablauf ist aus dem Programm ersichtlich. Selbst das allseits bekannte Vaterunser wird auf einem Ton gesungen, was einen ganz neuen Eindruck hervorruft.

Zum Schluß kommt die kleine, neben dem Altar stehende Orgel zum Einsatz. Professor Schuck spielt eine Einleitung, der Chor beginnt und nun dürfen auch die Besucher mitsingen. Viele tun es, manche leise, manche aus voller Kehle. Nach dem ebenfalls gesungenen Abschiedssegen durch den Pfarrer erfolgt der Auszug des Chores unter Begleitung von der großen Orgel. Der NoonSong dieser Woche ist vorbei.

Während der ganzen Zeit war die Kirchentür einladend offen. Kein Lärm von draußen, kein Niesen, Husten oder Rascheln war zu hören. Alle haben diese halbe Stunde genossen.

Noon Song

„Mit dem NoonSong machen wir ein Angebot für alle, die Samstag Mittag, nach dem Wochenschluss, ein wenig zur Ruhe kommen wollen,“ erzählt Professor Schuck. „Das Vokalensemble ‚sirventes berlin‘, das hier auf höchstem Niveau regelmäßig singt, setzt sich aus freiberuflichen Sängern und Sängern aus den Berliner Rundfunkchören zusammen. Aus einem Pool von ungefähr 24 Sängerinnen und Sängern sind immer acht vertreten.

Die Idee für den NoonSong kam mir bei einem Aufenthalt im Trinity College in Cambridge, England. In allen großen englischen Städten gibt es abends die so genannten ‚Even Songs‘ in den Kathedralen und College-Kirchen seit der Zeit Heinrichs VIII. Chöre der Spitzenklasse singen dort täglich oder mehrmals wöchentlich Chorwerke aus früheren Jahrhunderten, die extra für diesen Zweck geschrieben und komponiert wurden.

Die Besucher aus der Gemeinde und auch viele Touristen strömen in Massen in diese Veranstaltungen. Der besondere Bau der Kirche Am Hohenzollernplatz mit seiner besonderen Atmosphäre ist wie geschaffen, diese Veranstaltungen auch hier anzubieten.“

In allen christlichen Kirchen sind Tageszeitengebete üblich. Dabei werden Psalmen, Hymnen und das Vaterunser gesungen. Für die Mönche und Nonnen sind die Stundengebete sogar der wesentliche Bestandteil des Tages. Die Liturgie der NoonSongs geht auf die Tradition der benediktinischen Stundengebete zurück. Zumeist werden Vertonungen aus der Renaissance dargeboten, hin und wieder Musik der Romantik und zeitgenössische Kompositionen. Aus dem „Evangelischen Tageszeitenbuch“ werden dazu die jeweiligen Psalm- und Lesungstexte gezielt ausgesucht.

Der Hugo-Distler-Chor

Professor Stefan Schuck, der nach einem Studium der Kirchenmusik, Chor- und Orchesterleitung, heute an der Hochschule für Kirchenmusik in Rottenburg lehrt, ist nicht nur Initiator und Leiter der NoonSongs, sondern auch des bekannten Hugo-Distler-Chores, der ebenfalls im „Kraftwerk Gottes“ zu Hause ist. „Klaus Fischer-Dieskau, der ältere Bruder des bekannten Sängers Dietrich Fischer-Dieskau, gründete ihn 1953, hervorgehend aus Jugend-Singefreizeiten des Wannseeheimes“, erzählt er. „Er benannte ihn nach Hugo Distler (1908-1942), dem wohl bedeutendsten Erneuerer evangelischer Kirchenmusik seit 1920, einem seiner Lehrer von der Berliner Musikhochschule.

Der Chor fand seine erste Heimat in der Dreifaltigkeitskirche, besser bekannt als Lankwitz Kirche, an der Fischer-Dieskau den Posten des Kantors innehatte.

Bis 1989 war er dessen Leiter, der Chor war sein ‚Kind‘. Er hat ihn zu einem der besten Laien-Chöre Berlins gemacht. Viele Wettbewerbe wurden gewonnen, auch im europäischen Ausland. Über 700 Aufnahmen, darunter etliche Uraufführungen, manche auch mit dem kleinen, aber berühmteren Bruder Dietrich Fischer-Dieskau, bezeugen die hohe Qualität. Das in den Jahrzehnten angesammelte Notenarchiv ist riesig.“

Stefan Schuck erzählt begeistert von dem Chor, den er seit 1992 leitet. Von 1989 bis 1992 lag dessen Leitung in den Händen von Heribert Breuer, der die Erwartungen der Sänger an die Kontinuität nach fast 36 Jahren unter der Leitung und Formung durch Fischer-Dieskau nicht erfüllen konnte.

Der Chor trennte sich von ihm. Stefan Schuck war zu dieser Zeit Assistent beim Philharmonischen Chor Berlin. Einer der Sänger, der in beiden Chören sang, fragte ihn, ob er sich nicht um die Leitung bewerben wolle.

Heute ist der Chor, der von Anfang an ein A-Cappella-Chor besonders für alte evangelische Musik des 16. und 17. Jahrhunderts sowie für Kompositionen des 20. Jahrhundert war, in der Kirche Am Hohenzollernplatz beheimatet. Er tritt hier und in der Philharmonie auf.

Vierzig Sänger


„Der Chor hat ungefähr 40 Sänger und Sängerinnen“, erzählt Stefan Schuck. „Das bei meinem Arbeitsbeginn vorhandene Problem der Überalterung ist ganz pragmatisch gelöst worden.

Seit dem Jahr 2000 hat sich der Chor entschieden, daß alle zwei Jahre jeder Sänger und jede Sängerin neu vorsingen muss, um die Qualität zu halten. Wer den Ansprüchen nicht mehr genügt, hört auf. Mehr als die Hälfte der Sänger nehmen Gesangsunterricht und ich verteile ‚Hausarbeiten‘, die vorbereitet werden müssen. Seitdem haben wir keine Nachwuchsprobleme mehr. Seine Qualität macht den Chor interessant. Alle Sänger und Sängerinnen gehen mit echter Begeisterung an das Innere der Stücke heran.“

Der Hohenzollernplatz selbst scheint zu schwingen vor Musik bei soviel Engagement und Begeisterung. Der Lärm der vorbeifahrenden Autos verhallt. Nur die Vögel können mithalten und tirilieren und zwitschern aus voller Kehle. Und die Delphine vom Brunnen freuen sich schon wieder auf den nächsten Samstag.

Nützliche Informationen

Evangelische Kirchengemeinde Am Hohenzollernplatz, Nassauische Straße 66 - 67
10717  Berlin-Wilmersdorf, 030 873 1043, buero@hohenzollerngemeinde.de

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