Günter Gaus, der erste ständige Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, hatte einmal von "Nischengesellschaft" gesprochen, in dem sich ein Großteil des Bevölkerung geflüchtet hatte, um dem restriktiven System zu entgehen.
Insofern ist der Film »Ein Traum in Erdbeerfolie – Comrade Couture« von Marco Wilms eine Reise in die wilde Parallel- und Nischenwelt der Mode und Überlebenskünstler Ostberlins. Der Regisseur Marco Wilms, selbst ehemaliges Model des DDR-Modeinstituts, zieht los, um zu versuchen das einzigartige Lebensgefühl von ökonomischer Unbeschwertheit und radikalem Anderssein, zwanzig Jahre später - im Hier und Jetzt - wieder entstehen zu lassen.
Die Protagonisten des Filmes gehörten den subversiven Ostberliner Underground Modegruppen Chic, Charmant und Dauerhaft (CCD) und Allerleihrauh an.
CCD begann Mitte der 80ziger mit Modenschauen im eigenen Wohnzimmer. Die Performances in Kirchen und stillgelegten Gründerzeit-Bädern wurden mit der Zeit immer opulenter aber auch morbider, als wenn man das bevorstehende Ende der DDR vorausgeahnt hätte.
Die Mitglieder der Gruppen lebten eine exzessive Lust an der indiviuduellen Inszenierung aus, inmitten des real existierenden sozialistischen Alltages. Dabei wurden die Protagonisten selbstverständlich auch von der Stasi beobachtet. Mit Argusaugen, denn die Shows von Allerleihrauh, die mehr mystische Performance als Modenschau waren, sind auch heute noch legendär und waren in der DDR selbstverständlich illegal. Der Stern berichtete damals über diese neue "Undergroundmode" aus der DDR.
Übrigens existieren sie noch in den Bildern der Fotografen Sven Marquardt, Jürgen Hohmuth sowie Robert und Helga Paris. Marco Wilms zeigt in seinem Dokumentarfilm fast dreihundert dieser Fotos.
Ein Traum in Erdbeerfolie ist - auch für Nichtkenner - ein wunderbarer Film, der durchaus ironisch - die Ostberliner Szene in den Endzeiten der DDR - skizziert und beschreibt. Lebensgefühle sind immer an Ort und Zeit gebunden. das wird in diesem Film sehr deutlich. Robert Paris sagt in einer Sequenz, "Ein Tiger, der im Käfig eingeschlossen ist, ist viel wilder als ein Tiger in freier Wildbahn".
Dem Film gelingt es eine Zeit einzufangen, ein Lebensgefühl, das anders war, als der DDR-Mainstream. Zu keiner Zeit allerdings kommt irgendeine Form von Ostalgie auf. Vielmehr zeigt der Film sehr deutlich, dass es eben keinen Weg mehr zurück gibt.
von Frank Tetzel