Anonyma - eine Frau in Berlin<br>
Das Buch ist nachwievor ein Bestseller, nun startete der Film "Anonyma" in den deutschen Kinos. Er handelt von einem der Kapitel der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, die auch heute noch am liebsten verschwiegen werden. Der Massenvergewaltigung von Frauen durch die vorrückende russische Armee.
Der Film stützt sich auf die Tagebuchaufzeichnungen einer bis zu ihrem Tod anonym gebliebenen Autorin, die als einzige Frau über die bis heute tabuisierten Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Soldaten der Roten Armee am Ende des zweiten Weltkriegs berichtet hat. In den fünfziger Jahren, als das Buch das erste Mal erschien, wurde es von der Kritik verrissen und war politisch nicht opportun. Jetzt ist es ein einzigartiges historisches Dokument, das weltweit Aufsehen erregt und nach seiner deutschen Neuauflage im Jahre 2003 große Auflagen erzielte.
Die Hauptrolle der Anonyma spielt Nina Hoss (Die weisse Massai). Auch alle weiteren Rollen sind prominent besetzt, darunter die Trägerin des Deutschen Filmpreises Sandra Hüller (Requiem), die Fassbinder-Ikone Irm Hermann, Jördis Triebel (zuletzt filmpreisnominiert für Emmas Glück), August Diehl (Die Fälscher), Wim Wenders-Star Rüdiger Vogler und Juliane Köhler (Der Untergang). Alle sowjetischen Soldaten werden von russischen Schauspielern gespielt, darunter der Kino- und Theaterstar Evgenij Sidikhin.
Es sind die letzten Tage des Krieges, April 1945 in Berlin. Im Keller eines halb zerstörten Wohnhauses kauern die Menschen und warten. Sie haben die Bombennächte überstanden und auch den Artilleriebeschuss. Die meisten von ihnen sind Frauen und sie ahnen, was sie erwartet. Der Einmarsch der Roten Armee in Berlin steht unmittelbar bevor.
Da ist die stets hilfreiche Witwe (Irm Hermann), da sind die lebenslustigen Schwestern Bärbel (Jördis Triebel) und Greta (Rosalie Thomass), die ältere Buchhändlerin (Katharina Blaschke), die Likörfabrikantin (MARIA HARTMANN), deren Mann sie einer Jüngeren wegen sitzen ließ, das lesbische Liebespaar Steffi (Sandra Hüller) und Lisbeth (Isabell Gerschke), die resolute Achtzigjährige (Erni Mangold), das verzweifelte Flüchtlingsmädchen (Anne Kanis), da sind Mütter mit ihren Kindern und auch ein paar ältere Männer, aus denen der Krieg alle Kraft herausgesogen hat. Vor allem aber ist da die knapp dreißigjährige Anonyma (Nina Hoss), dereinst Journalistin und Fotografin. Sie wird die Ereignisse der nächsten Tage für ihren Lebensgefährten Gerd (August Diehl) festhalten, der vor Jahren an die Ostfront verschwand.
Es werden Tage der Schrecken und widersprüchlichsten Erfahrungen. Anonyma wird, wie die meisten Frauen, von den Siegern mehrfach vergewaltigt. Doch sie taugt nicht zum Opfer. Mit Mut und dem unbedingtem Willen, ihre Würde zu verteidigen, fasst sie einen Entschluss. Sie wird sich „einen Wolf“ suchen, einen russischen Offizier, der sie vor den anderen schützt. Als Gegenleistung wird sie mit ihm schlafen – freiwillig. Und es geschieht, worauf sie am wenigsten gefasst war. Der höfliche, melancholische Offizier Andrej (Evgeny Sidikhin) weckt ihr Interesse, ja, es entsteht eine Beziehung, die sich wie Liebe anfühlt. Und doch schwindet nie die Barriere, die beide nicht vergessen lässt, dass sie feindlichen Lagern angehören.
Auch die anderen Frauen entwickeln ihre Strategien, mal schnoddrig, mal unterwürfig, auf kleine Vorteile bedacht. Und es zeigt sich, dass auch die sowjetischen Soldaten nach menschlicher Nähe verlangen. Sie nisten sich ein in diesem zerbombten Haus. Und schließlich werden Sieger und Besiegte wie bei einem wilden Tanz auf dem Vulkan sogar das Ende des Krieges zusammen feiern. Denn etwas vereint sie doch: sie sind – nach einem langen Krieg – dem Tod entronnen.
Nach dem Schrecken der männlichen Gewalt, nach einem Taumel der Gefühle wird sich der Blick auf eine Zukunft öffnen, in der sehr langsam ein normales Leben beginnen kann.
Zitat:
"ANONYMA, Freitag, 27. April 1945, Tag der Katastrophe, wilder Wirbel – notiert Samstag Vormittag
„Es begann mit Stille. Allzu stille Nacht. Gegen Mitternacht meldet Fräulein Behn, daß der Feind bis an die Schrebergärten vorgedrungen sei und die deutsche Linie bereits vor uns liege. Ich konnte nicht einschlafen, probierte in Gedanken mein Russisch aus, übte Redensarten, von denen ich annahm, daß ich sie nun verwenden könnte. (…) Gegen 18 Uhr ging es los. Einer kam in den Keller, Bullenkerl, stockbesoffen, fuchtelte mit seinem Revolver herum und nahm Kurs auf die Likörfabrikantin. Die oder keine. Er jagte sie mit dem Revolver quer durch den Keller, stieß sie vor sich her zur Tür. Sie wehrte sich, schlug um sich, heulte- als plötzlich der Revolver losging. Der Schuß hallte wischen die Balken, in die Mauer, ohne Schaden anzurichten. Darob Kellerpanik, alle springen auf, schreien…
Da haben sie mich. Die beiden haben hier gelauert. Ich schreie, schreie... Hinter mir klappt dumpf die Kellertür zu. Der eine zerrt mich an den Handgelenken weiter, den Gang hinauf. Nun zerrt auch der andere, wobei er mir seine Hand so an die Kehle legt, daß ich nicht mehr schreien will, in der Angst erwürgt zu werden. Beide reißen an mir, schon liege ich am Boden. Aus der Jackentasche klirrt mir etwas heraus. Es müssen die Hausschlüssel sein, mein Schlüsselbund. Ich komme mit dem Kopf auf der untersten Stufe der Kellertreppe zu liegen, spüre im Rücken naßkühl die Fliesen. Oben am Türspalt, durch den etwas Licht fällt, hält der eine Mann Wache, während der andere an meinem Unterzeug reißt, sich gewaltsam den Weg sucht.“
Anonyma – Eine Frau in Berlin
Darsteller:
Nina Hoss, Evgeny Sisikhin, Irm Hermann, Rüdiger Vogler, Ulrike Krumbiegel, Rolf Kanies, Jördis Triebel, Roman Gribkov, August Diehl, Sandra Hüller
Produzent:
Günter Rohrbach
Drehbuch:
Max Färberböck
nach den Tagebuchaufzeichnungen von Anonyma „Eine Frau in Berlin“
erschienen im Eichborn Verlag