Erste Ampel am Potsdamer Platz
von Michael Bienert und Elke Linda Buchholz*
Foto: Michael Bienert
»Wenn der Provinzler nach Berlin kommt, dann staunt er nicht so sehr über die vielen Häuser und Straßen, sondern über den Verkehr, der in den Straßen herrscht ... Damit die Fußgänger den Wagenverkehr nicht aufhalten und stören, die vielen Autos und Straßenbahnen aber wiederum den Leuten, die den Damm überschreiten wollen, nicht gefährlich werden können, stehen an den Knotenpunkten des Verkehrs die Posten der Sipo, die alles regeln.
Hebt der Polizist den Arm hoch, dann bleiben alle Wagen, die heranrollen, sofort stehen. Nun gehen schnell die Fußgänger über den Damm. Ein Wink des Sipobeamten - und die Fuhrwerke, die dicht hintereinander aufgefahren sind, rollen weiter. Das wiederholt sich alle paar Minuten.
Der größte Verkehr herrscht in Berlin am Potsdamer Platz. Fünf große Hauptstraßen treffen hier zusammen, und auch vom Bahnhof kommen die Menschen in dicken schwarzen Haufen herab.
Da der Verkehrsposten von der Mitte des Platzes aus das Gewimmel nicht mehr überblicken konnte, wurde er hochgehoben und in einen Turm gestellt, der hier errichtet wurde und beinahe wie ein kleiner Leuchtturm aussieht. ›Oberkieker‹ nennt ihn der allezeit witzige Berliner. Nach allen fünf Seiten kann der Mann im Turm den Platz und die Eingänge der Straßen überschauen. Durch elektrische Lichtsignale regelt er das Überfahren des Potsdamer Platzes. Die Signale sind dieselben wie bei der Eisenbahn.«
So erklärte ein 1926 erschienenes Schulleseheft den staunenden Kindern aus der Provinz die jüngste Sehenswürdigkeit Berlins. Erst zwei Jahre zuvor war der aus den USA importierte Verkehrsturm am Potsdamer Platz aufgestellt worden - die erste Verkehrsampel in Deutschland überhaupt. Rasch wurde der Turm zu einer Ikone des Neuen Berlin, die vielfach sogar das Brandenburger Tor als Wahrzeichen von Ansichtspostkarten und Stadtplänen verdrängte.
Durch den Verkehrsturm allein war das Gedränge am Potsdamer Platz auf Dauer nicht zu regeln, deshalb plädierten Verkehrsplaner für einen radikalen Umbau des Platzes.
So schlug der Bauhauslehrer Marcel Breuer eine Art Autobahnkleeblatt vor, mit dem die Wagenströme kreuzungsfrei verteilt werden sollten. Fußgänger sollten Unterführungen benutzen und gar nicht mehr mit dem rollenden Verkehr in Berührung kommen.
Die Wirtschaftskrise der frühen Dreißiger Jahre, später der Weltkrieg, sorgten dafür, daß solche Umbaupläne in der Schublade blieben; seit 1945 verlief mitten über den Potsdamer Platz die Sektorengrenze, später sorgte die Mauer für totale Verkehrsberuhigung.
Als nach der Wiedervereinigung am Potsdamer Platz eine neues Stadtquartier gebaut wurde, mit Hochhäusern, von denen die Stadtplaner an dieser Stelle schon in den Zwanzigern geträumt hatten, wurde auch eine Kopie des Verkehrsturms neben die große Kreuzung gestellt.
Die Regelung des nun wieder stetig wachsenden Autoverkehrs allerdings bewältigt eine ganz normale Ampelanlage, wie man sie überall in der Stadt findet.