Du hast die Wahl<br>die Kommunalwahl in der DDR vom 7.Mai 1989
von Jens Schöne
An der eigenen Lethargie fast erstickend, einer unzufriedenen Bevölkerung gegenüberstehend und in Konfrontation mit einer kleinen, aber wachsenden Opposition gingen die politischen Machthaber im Mai 1989 daran, die turnusmäßigen Kommunalwahlen zu inszenieren.
Gerade weil Wahlen in der DDR eine Farce waren, musste die Inszenierung umso pompöser ausfallen. Im Vorfeld fanden unzählige Versammlungen statt, um das Volk auf Linie zu bringen.
Unsichere Kantonisten wurden zu Einzelgesprächen gebeten oder gleich ganz aus dem Wählerverzeichnis gestrichen. Soldaten erhielten Ausgangssperren und hatten in geschlossener Truppenstärke zur Wahl aufzumarschieren. Parteien, Massenorganisationen, Hausgemeinschaften und andere Institutionen verpflichteten ihre Mitglieder ebenfalls zu möglichst geschlossenem und möglichst frühem Auftreten am jeweiligen Wahlsonntag.
Dabei hatte man als Wahlberechtigter ohnehin kaum eine Wahl. Die Stimmabgabe war nicht für einzelne Parteien oder Kandidaten möglich, sondern nur für eine Einheitsliste, die von der SED auf vielfältige Weise dominiert wurde.
Seine Zustimmung zur Politik der Partei bestätigte man durch den flotten Einwurf der Liste in die Urne, ein abgewogenes »Ja« oder »Nein« war gar nicht vorgesehen. Wollte man Streichungen vornehmen, musste man die Wahlkabine benutzen. Das wurde als Sakrileg angesehen und konnte ernsthafte Folgen haben.
Denn nur wer als zuverlässig galt, durfte auf die bescheidenen Segnungen des Staates hoffen. Wer sich verweigerte, musste mit Maßregelungen rechnen. Unter diesen Umständen schien ein Mittelweg als Zeichen der Ablehnung viel versprechend: einfach nicht zur Wahl erscheinen.
Doch auch das wurde registriert und war zudem eine unsichere Angelegenheit. Stellte die Wahlleitung nämlich fest, dass in einem Territorium noch Stimmen fehlten, wurden so genannte fliegende Wahlurnen losgeschickt, an Haustüren geklopft und energisch an die noch fehlende Stimmabgabe erinnert. Auf die gleiche Weise sammelte man in Krankenhäusern, Altenheimen und anderen Einrichtungen Zustimmung.
Die Bevölkerung hatte sich schon lange mit dem Nonsens arrangiert, lieferte die erwartete Stimme ab und ging weiter ihrer Wege. Doch das reichte den politischen Funktionären nicht. Seit Jahrzehnten schon hatte es immer eine »überwältigende Mehrheit« für die SED-Politik gegeben, wie die Medien nicht müde wurden zu betonen.
Daher musste die Zustimmung auch weiterhin bei nahezu 100 Prozent liegen. Das war selbst unter den herrschenden restriktiven Bedingungen illusorisch. Also fälschte die politische Führung des Landes die Ergebnisse. Auch daran hatte sich die Bevölkerung resignierend gewöhnt und nahm das Resultat Schulter zuckend zur Kenntnis. Bis zum 7. Mai 1989. (…)