Russen im Berlin der Zwanziger Jahre
Wenn man heute über den Kurfürstendamm geht oder in seinen Nebenstraße unterwegs ist, dann wird man bei genauen Hinhören immer wieder russische Sprachfetzen hören.
In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kursierte ein Witz in Berlin, dass sich ein alter Berliner in seiner Wohnung aufgehängt hätte, weil er an einem Geschäft am Kurfürstendamm ein Schild mit der Aufschrift "Man spricht auch deutsch"gelesen habe.
Heute ist Berlin bei reichen Russen wieder en vogue. Die lediglich rund zweieinhalb Stunden Flugzeit von Moskau oder St. Petersburg, machen einen Trip in die deutsche Hauptstadt zu einem einfachen Ausflugsvergnügen.
Flüchtlinge auf halbem Weg nach Paris
Das war nicht immer so. In den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts waren es vor allem Flüchtlinge, die vor der Russischen Revolution und den Bürgerkriegswirren gen Westen zogen.
Die "Dritte Hauptstadt Russlands" wurde Berlin damals genannt. Allein 1923 suchten in Berlin 360.000 Russen Asyl. Der Völkerbund verzeichnete für dasselbe Jahr 600.000 Flüchtlinge aus Russland für das gesamte deutsche Reichsgebiet.
Kurfürstendamm und Wittenbergplatz, eine Hochburg der russischen Emigranten
Deutsche und Russen nannten den Kurfürstendamm in Anlehnung an den St.Petersburger Nevskij Prospekt und in Anspielung auf die "Neue ökonomische Politik" Lenins, den NEPski Prospekt.
Vielfach fragten sich Historiker, wie es dazu kam, dass gerade Berlin zu einem Magneten für russische Emigranten wurde.
Das lag zum einen an der Geografie. Havel und Spree lagen einfach dichter an der alten Heimat, als Paris oder Moskau. Und in der Tat sind viele Flüchtlinge auf dem Weg nach Paris in Berlin hängen geblieben.
In Berlin war´s preiswert
Ferner konnte man damals in Berlin - und hier gibt es viele Parallelen zur Gegenwart - preiswerter leben als in den anderen europäischen Metroplen. Vor allem der Verfall der Reichsmark durch die Reparationsleistungen des Deutschen Reiches an die Gewinner des Ersten Weltkrieges, machte es Devisenbesitzern relativ leicht in berlin einigermaßen gut leben zu können.
Russische Gemeinschaft
In dieser Melange konnte sich eine große Russische Community bilden. Vor allem die Gegend rund um den Wittenbergplatz , der Amüsiermeile des Westens der Stadt, gab war fest in russischer Hand.
Der Schriftsteller Lew Lunz, der 1923 aus Petrograd nach Deutschland gekommen war, um sich ärztlich behandeln zu lassen, schrieb:
"Die russischen Emigranten in Deutschland kann man in drei Gruppen einteilen. Die erste, in Sanatorien am zahlreichsten vertreten, bilden die Geschäftsleute und Börsenmänner. Die schätze ich am meisten. Sie haben längst aufgehört, sich für Russen zu halten. Ihre Kinder verlernten die Muttersprache und plappern deutsch, französisch, polnisch, die Sprache des Volkes, an dessen Börse ihre Eltern spekulieren ... Die zweite Gruppe bilden die Politemigranten, die Vertreter von politischen Parteien, die in Russland längst vergessen sind. Denen ist der Weg nach Russland versperrt, sie wollen zurück, aber sie dürfen nicht. Sie existieren von der Literatur, publizieren in der russischen Periodika. Diese Fossile habe ich übrigens fast gar nicht zu Gesicht bekommen ... Viel amüsanter ist die dritte, die interessanteste Art der Emigranten, die Intellektuellen, die klassischen russischen Intellektuellen [Intelligenzija]. Sie verzehren sich in der Sehnsucht nach ihrer Heimat, sie hassen die Deutschen nicht nur, sie sind ihnen physisch zuwider, und zwar alles Deutsche, von der Sprache bis zur Küche. Sie leben nur in der Erinnerung. Aber sie kehren nicht zurück. Warum? Das wissen sie selber nicht ... In Berlin gibt es solche Emigranten wie Sand am Meer."
Die meisten Russen versuchten die alten Berufe wieder aufzunehmen. Es gab eine ganze Reihe von bekannten russischen Anwälten, Ärzten, Händlern und Gastronomen. Berliner Banken richteten für diese neue Klientel sogar Spezialabteilungen ein, um ihre russische Klientel zu finanzieren.
Die Flüchtlinge gründeten eine Vielzahl von Berufsgenossenschaften, die "Artels" genannt wurden. Es gab sogar ein kostenloses Wohnheim mit 150 Plätze, wo Tausende von Bedürftigen und Mittellosen im Laufe der Zeit ein Obdach fanden.
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