Der Nördliche Halbring

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Der nördliche Halbring

Doch gemessen an dem, was nun folgt, sind die Korrekturen von 1716 nur eine Art Vorgeplänkel.Friedrich Wilhelm mag keine halben Sachen. Sein Ziel ist, eine geschlossene Absperrung rings um die Stadt zu schaffen.
Der Soldatenkönig braucht die reichlich sprudelnden Akziseeinnahmen, um ein schlagkräftiges Heer aufbauen und die Schulden seines Vaters in eine gefüllte Kriegskasse verwandeln zu können.

Geld für Stadterweiterung

Er benötigt das Geld, um die Stadt zu erweitern – zum Teil sogar mit ausgesprochen repräsentativen Palais – und ihre Silhouette mit Kirchtürmen zu bereichern.
Ein solcher Sperrgürtel ist darüber hinaus gut geeignet, Soldaten, die den unmenschlichen Drill auf den Exerzierplätzen nicht mehr ertragen, an der Flucht zu hindern.

Friedrich Wilhelm I., Selbstbildnis. 1737Friedrich Wilhelm beginnt mit den berlinischen Vorstädten, also mit dem nördlich der Spree gelegenen Areal.
Das lässt auf den ersten Blick erstaunen, denn dort steht bereits der Palisadenzaun. Indes, Preußen wird zu dieser Zeit von einem seiner weitsichtigsten Monarchen mit einem bemerkenswerten politischen wie ökonomischen Sachverstand regiert

Wenn die Bevölkerungszahl der Stadt in den nächsten Jahrzehnten annähernd so schnell wächst wie in den vergangenen, dann wird die Bebauung, deren regionale Ausrichtung erfahrungsgemäß nur begrenzt steuerbar ist, die Palisaden überwuchern. 
Am ehesten zu erwarten ist dies im Norden und Nordosten.
Dort allerdings stößt ein Hinausschieben der Palisaden wegen der störenden Ausläufer des Barnim auf Schwierigkeiten. Nicht selten sind am Rande des Urstromtals auf hundert Meter Länge bis zu sieben Meter Niveauunterschied zu überwinden.
Das Problem besteht dabei nicht so sehr darin, mitten im Hang Palisaden zu setzen.
Schwieriger und teuer ist es, in diesem Gelände dann unmittelbar vor den Toren genügend Platz für mehrere Pferdegespanne zu schaffen, die auf die Kontrolle warten und verpflegt, gelegentlich sogar untergebracht werden wollen.

Verlegung der Grenze

Daher wird die neue Zollgrenze an den äußersten Rand der Talfläche gelegt. Östlich vom Prenzlauer Tor findet sich hierzu noch hinreichend Spielraum; in westlicher Richtung reicht der Platz lediglich aus, die Nordseite der Linienstraße bebauen zu können. »Bebauen« heißt nach damaligem Verständnis, dass hinter dem einfachen zwei- oder dreistöckigen Haus Platz für ein langes, die Grundfläche des Hauses um ein Vielfaches übertreffendes Gartengrundstück verbleibt.

Außerdem muss es auch noch für die »Communication « reichen, einen Weg für die Wachsoldaten, der sich überall zwischen den Toren an der Innenseite der Palisade entlangzieht.

Die hinausgeschobene Palisade – auf einem Prospekt Johann Friedrich Walthers von 1737 und auf einigen anderen Stadtansichten ästhetisierend als glatte Bohlenwand dargestellt – und die Tore befinden sich nun auf der heutigen Torstraße. In annähernd gleichmäßiger Krümmung verläuft dieser Teil des Rings vom Oranienburger Tor in Richtung Osten über das Hamburger, das Rosenthaler und Schönhauser bis zum Prenzlauer Tor. In Richtung Westen bedarf es nur einer geringen Korrektur, die das kurze Stück vom hinausgeschobenen Oranienburger Tor bis zum alten Palisadenverlauf betrifft. Dieses Stück ist heute der am Tor beginnende, in nahezu gradliniger Verlängerung der Torstraße verlaufende Abschnitt der Hannoverschen Straße bis zu deren erstem Rechtsknick.

Verlauf der Palisade

Der weitere Verlauf bis zum Unterbaum bleibt der bereits beschriebene.
Auf der rechten Seite des Prenzlauer Tores kann sich die Palisade nur noch einige Meter in der bisherigen Richtung fortsetzen. Dahinter sperrt der 1727 an den Stadtrand verlegte Schießplatz der Berliner Schützengilde – auf seiner Sohle verläuft heute die Modersohnstraße – den Weg. Der Platz könnte zwar leicht an seinem Südrand, auf der alten Zollstrecke Linienstraße, deren östliche Fortsetzung jetzt Neue Schützenstraße heißt, umgangen werden.

Allen Widrigkeiten des Geländes zum Trotz schwenkt die Palisade stattdessen zu einem Ausflug bergauf nach Norden ab. Auf dem ca. 1793 entstandenen Motiv von Calau/Haas sieht man, wie die Palisade, vom Prenzlauer Tor kommend auf den Schützenplatz stößt, was die Einrichtung eines Wachpostens mit Schilderhaus erforderlich macht.

Rechts hinter dem Fahnenmast beginnt die Palisade, diesen Platz zu umrahmen.
Die Umrahmung des rechteckigen Areals vollzieht sich zuerst an dessen West-, dann an der Nordseite. Anschließend klettert die Palisade nochmals ein Stück nördlich den Hang hinauf – bis zu jenem Punkt, wo heute quer die Straße Prenzlauer Berg verläuft. Auf ihr geht es nach rechts bergab in einen Geländeeinschnitt mit der Bernauer (heute Greifswalder) Straße und dem neuen, aus der Stadt hinausgeschobenen Bernauer Tor.

Jenseits des Tores folgt die Palisade nur ein kleines Stück der Friedenstraße und kehrt auf kürzestem Wege zur alten Streckenführung zurück, um den Hut, der dem Berliner Zollgebiet im Nordosten aufgesetzt wird, fertigzustellen.

Zwischen Georgenkirch- und Weinstraße führt eine heute längst nicht mehr erkennbaren Linie stracks nach Süden auf die heutige Barnimstraße. Diese verläuft in ähnlichem Abstand nördlich parallel zur Gollnow- wie vor dem Nordausflug der Palisade die Tor- im Verhältnis zur Linienstraße. Der Barnimstraße in östlicher Richtung folgend endet der Zaun bald am Landsberger Tor.

Weitere Steuereinnahmen

Der Palisadenhut mit dem Bernauer Tor (später Neues Königstor) bringt Friedrich Wilhelm zusätzliche Steuergroschen. Ein Blick auf den Dusableau-Plan von 1723 zeigt: Nirgendwo zeichnet sich so deutlich ein Hinauswachsen der Besiedlung über die alte Akzisegrenze ab, wie an dieser alten Berliner Ausfallstraße. Dies gilt besonders für das Areal östlich der Straße, wo mehrere Ansätze zusammenhängender Bebauung eingezeichnet sind.

Bemerkenswert ist, dass der Plan das Bernauer Tor bereits an der neuen Position ausweist und den gesamten »Hut« als weiße (mit der bereits bebauten dunklen) Fläche markiert, ohne aber den neuen Palisadenverlauf zu berücksichtigen.

Jenseits des Landsberger Tores belässt der König die Zollgrenze bis zum nächsten Tor so, wie er ihn 1716 eingerichtet hat: Palisadenstraße, Fruchtstraße (Straße der Pariser Kommune), Frankfurter Tor.

Dagegen ergeben sich auf dem nun folgenden letzten, bis zur Spree reichenden Abschnitt Veränderungen, die mit besonders großen Flächengewinnen verbunden sind. Es handelt sich dabei um ein Territorium, das fast völlig unbesiedelt, allenfalls mit Gärten belegt ist, was für die Weitsicht des Königs spricht. Die Palisade strebt vom Frankfurter Tor aus nicht mehr auf kürzestem Wege den Kontakt zum Fluss an, indem sie der Fruchtstraße (Straße der Pariser Kommune) bis zum Ende folgt.

Jetzt geht es schon nach einem Drittel der alten Strecke östlich in die Rüdersdorfer Straße hinein. An der Linkskurve, kurz vor der Marchlewskistraße, mündete bis nach dem zweiten Weltkrieg von rechts kommend – heute durch ein Heizkraftwerk blockiert – die Bromberger (heute Helsingforser) Straße. Ihr folgt die Palisade bis zur Warschauer Straße, auf der sie dann nach rechts an die Mühlenstraße gelangt. Dort befinden sich das neue Mühlentor (später Stralauer Tor) und dahinter der ebenfalls stadtauswärts verlegte Oberbaum. Letzterer wird 1724, diesmal in Form eines Fluss übergangs, errichtet; die heutige Oberbaumbrücke steht an gleicher Stelle.

Friedrich August Calau, Christian Peter Jonas Haas
Friedrich August Calau, Christian Peter Jonas Haas, Der Schützenplatz.
Um 1793

Damit ist der Verlauf des neuen Nordbogens vom Unter- bis zum Oberbaum beschrieben. Zeitlich ist seine Entstehung nur über einzelne Indizien einzugrenzen. Nach dem, was Fidicin über das nördliche Ende der Friedrichstraße und die damalige Lage des Oranienburger Tores schreibt, hat sich die alte Situation von 1705 wohl bis mindestens 1720 erhalten. Für den Beginn der Errichtung einer neuen Palisade ist als spätester Zeitpunkt das Jahr 1724 anzusetzen; jedenfalls bezieht sich ein Hinweis sowohl bei Nicolai als auch bei Fidicin über die Anlegung des neuen Oberbaums auf dieses Jahr. Beiläufig fügt Nicolai an diese Mitteilung an: »Um diese Zeit wurden auch die Palisaden um die Stadt gesetzt...«. und meint offenbar »neu« gesetzt.

Ein weiterer Richtwert ist, dass der Schützenplatz nahe dem Prenzlauer Tor, dem die Palisade ausweichen muss, seinen neuen Platz ab 1727 einnimmt.

Unabhängig von seiner exakten Fixierung ist festzuhalten, dass dieser Zeitpunkt den Beginn einer wirksamen und lückenlosen Zollkontrolle der nördlich und östlich der Spree gelegenen Vorstädte markiert. Bis zur nächsten Jahrhundertwende bleibt dieser Akzise-Halbring unverändert.

Erst dann wird die Zoll-Linie nochmals korrigiert und zugleich als massive Mauer ausgeführt.

50 Prozent außerhalb der alten Festungsanlage

Um 1725 lebt bereits mehr als die Hälfte der Berliner Bevölkerung außerhalb der alten, erst vor vier Jahrzehnten fertiggestellten Festungsanlage. König Friedrich Wilhelm I. hat also gute Gründe, an den Stadtgrenzen möglichst alle Schlupflöcher zu verstopfen. Er hat sich dabei zunächst auf den Norden konzentriert, wohin ein großer Teil der Zuwanderer drängt und vorsorglich auch den Osten einbezogen.

Lesen Sie hier weiter, wie es zur Beseitigung der Akzisemauer in Berlin kam.

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