Tresenhocker
von Katrin Müller de Gámez
Der Wunsch nach ein paar Tresenhockern für die neue Küche ist es, was uns in das just eröffnete Möbelhaus in der Innenstadt treibt. Ein leicht erhöhter Frühstücksplatz, Aug’ in Aug’ mit dem Apfelbaum, danach steht der Sinn. Das Möbelhaus imponiert mit schierer Größe.
Ehrfürchtig betreten wir die Halle. Gar unüberschaubar ist das Angebot an Möbeln, Haushaltsgegenständen, Krims und Krams. Wie gut, dass neben der Rolltreppe eine Orientierungshilfe in Form einer Tafel uns den Weg in den zweiten Stock weist. Nach längerem Suchen finden wir das Ersehnte: zwei Tresenhocker in Form und Farbe genau dem entsprechend, was zur neuen Küche passt.
Der Verkäufer, den wir mit unserem Anliegen behelligen, ist wenig begeistert. Seine Provision für diesen Kauf hält sich in Grenzen. Würden wir eine ganze Küche bestellen, wäre die Miene um einiges freundlicher. Nun ja, damit können wir nicht dienen. Unsere Freude über den Fund erhält den ersten Dämpfer, als uns die Lieferzeit von „sechs bis acht Wochen“ mitgeteilt wird. Seelisch stellen wir uns wohl oder übel darauf ein, bis dahin im Stehen zu frühstücken. Ist vielleicht auch keine schlechte Erfahrung, das Essen rutsch besser…
Zurück in der neuen Küche müssen wir feststellen, dass die bestellten Tresenhocker zu niedrig sind. Wir könnten auf ihnen sitzend, das Frühstück direkt vom Teller in den Mund schieben. So hatten wir uns das nicht gedacht. Der nächstmögliche Termin um eine Bestelländerung vorzunehmen ist ein Mittwochnachmittag. Gähnende Leere herrscht im Möbelhaus. Ohne Probleme - wir waren ja vor zwei Tagen gerade erst hier gewesen - finden wir die Küchen-Abteilung wieder.
Nach einigem Suchen ist auch ein Verkäufer mit Zugang zu einem PC gefunden. Wir tragen unser Anliegen vor und müssen uns anhören: „Wir verkaufen die Hocker nur, sie gehören aber gar nicht in unsere Abteilung.“ Ungläubiges Staunen unsererseits. Dann: „Gehen Sie mal zum Kundendienst eine Etage tiefer, am anderen Ende der Halle.“ Aha.
Wir machen uns auf den Weg. Die Hinweisschilder zum Kundendienst sind nicht sehr groß, aber nach einigem Zickzack durch die angegebene Etage finden wir den Kundendienst und Staunen. Ein Empfangstresen wie beim Arzt, eine Couchlandschaft mit einem Wasserspender und Pappbechern in der Ecke. Und eine Reihe von Tischen, an denen Mitarbeiter mit Stöpseln im Ohr vor Computern sitzen. Ein Call-Center.
Und genau wie beim Arzt wird das Anliegen von der Empfangsdame aufgenommen „ich gebe das weiter, der entsprechende Mitarbeiter holt sie dann ab.“ Wir versinken in einem Sofa und warten. Nach knapp einer Minute kommt ein junger Mann aus der Call-Center-Hälfte des Raumes und bittet uns lächelnd zu seinem knapp 10 Meter entfernten Platz. Er nimmt unser Anliegen auf und versucht, die Herstellerfirma zu erreichen. Aber dort geht niemand ans Telephon. Darauf der junge Mann: „Ach… morgen ist ja ein katholischer Feiertag. Wenn wir Glück haben, arbeiten die auch übermorgen nicht und haben die Bestellung noch gar nicht in Angriff genommen. Gehen Sie doch zur Küchenabteilung und fragen Sie nach Alternativen zu den Tresenhockern. Dann können wir das vielleicht noch ändern.“
Wir bedanken uns brav für diesen Rat und traben zurück zur Küchenabteilung, einmal quer durch die Riesenhalle und dann noch ein Stockwerk höher. Dort ereilt uns die Nachricht: „Wir haben keine Kataloge, wir verkaufen nur Küchen. Gehen Sie eine Etage tiefer zur Esszimmerabteilung, die haben Kataloge.“
Der Nachmittag neigt sich bereits dem Ende zu, der frühe Abend beginnt. Aber wir geben natürlich nicht auf. Also wieder ein Stockwerk tiefer zur Esszimmerabteilung. Wir drängen uns frech in das angeregte Gespräch zwischen drei Verkäufern und können tatsächlich eine nette Frau dafür begeistern, uns zu helfen.
Sie bemüht sich, wälzt Kataloge, wobei wir ihr noch behilflich dabei sein können, die dort enthaltenen Angaben richtig zuzuordnen und tatsächlich, nach einiger Zeit entdecken wir die etwas höhere Variante der von uns bestellten Tresenhocker. Die nette Dame schreibt uns die nötigen Angaben auf ein Kärtchen und meint: „Gehen Sie zum Kundendienst, um das Storno zu veranlassen und die Änderung einzutragen.“
Zum Glück kennen wir ja schon den Weg, einmal quer durch die Riesenhalle. Man bin ich froh, dass ich flache Schuhe an den Füßen habe. Beim Kundendienst wieder das gleiche Spiel: Anmeldung am Empfangstresen, versinken im Sofa, Abholung durch den jungen Mann zum knapp 10 Meter entfernten Schreibtisch. Wir berichten und erhalten als Antwort: „Ich storniere jetzt die ersten Tresenhocker und Sie gehen zur Esszimmerabteilung, um einen Änderungsvertrag zu machen.“
Wir beginnen uns zu fragen, ob wir zufällig bei der Versteckten Kamera gelandet sind. Aber nun wollen wir es wissen. Also erneut den Weg zurück und wir haben Glück, die nette Dame von vorhin hat noch nicht Dienstschluß. Sie erklärt sich auch sofort bereit, den Änderungsvertrag auszufertigen: „Ach Gott, jetzt stürzt auch noch der PC ab… Ich brech’ mal lieber ab und fange von vorne an. So, jetzt geht’s. Nun noch die Details der Lieferung. Welches Stockwerk wohnen Sie?“ „Wir holen doch ab!“ „Ach so, stimmt ja, aber … jetzt komm’ ich da nicht mehr raus aus dem Programm…“ Sie holt eine jüngere Kollegin zur Hilfe, die nach zwei Clicks („nicht Zentrallager eingeben, sondern Hauslager“) die Sache wieder zum Laufen bringt. „Jetzt nur noch ausdrucken und dann haben wir es.“
Der für diese Aktion zum Einsatz kommende ruckelnde Nadeldrucker mit dem Endlospapier kontrastiert dabei ganz apart mit dem modernen Flachbildschirm und der geschwungenen Tastatur. „Jetzt müssen Sie nur noch den Änderungsvertrag zum Kundendienst bringen.“ Wir können uns schon kaum noch das Lachen verkneifen. Aber wir müssen uns sputen, die abendliche Schließung des Möbelhauses steht bevor. Und wir schaffen es tatsächlich - das Prozedere des Empfangstresens etc. ist ja jetzt schon Routine - alles noch zu dem netten jungen Mann zu bringen, der uns versichert: „Das klappt bestimmt, sonst hören Sie von uns.“
Nach gefühlten 15 Kilometern Laufstrecke über zwei Etagen und einem schier endlos erscheinenden Nachmittag, verlassen wir erschöpft das Möbelkaufhaus. Wir haben es gut kennengelernt und wissen nun genau, wo die Kissen und die bonbonfarbenen Plastikpapierkörbe stehen.
Die Änderungsbestellung hat übrigens geklappt. Die Tresenhocker in Perlsilber und Dunkelrot passen ausgezeichnet in die neue Küche. Und jedesmal wenn wir sie sehen, erinnern sie uns daran, wie wichtig Sport für die Gesundheit ist.
© KMdG