Folkert Uhde
Das Radialsystem V ist eine Stätte für Tanz, Musik, Literatur und Bildende Kunst, ein Ort der Diskussion und Begegnung. Darüber hinaus wird der Ort für Veranstaltungen vermietet – ein Paradebeispiel für ein modernes Kulturprojekt. Folkert Uhde, der für sein Engagement kürzlich als „Kulturmanager des Jahres 2009“ ausgezeichnet wurde, ist mit Jochen Sandig Mitinitiator und Künstlerischer Leiter. Zudem ist Uhde Mitglied im Lenkungskreis des Clusters Kommunikation, Medien und Kreativwirtschaft des Berliner Senats.
Das Radialsystem versteht sich als Ort, der neben künstlerischen Inhalten auch bewusst anderen Nutzungsformen gegenüber offen ist. Ist die Institution ein Vorbild für die Kulturszene?
Folkert Uhde: Schon bei der Konzeption des Modells Radialsystem war uns klar, dass wir nicht mit festen Subventionen des Senats rechnen konnten. Wir mussten also ein anderes Betriebsmodell erfinden, und das schloss von Anfang an andere Nutzungsformen mit ein. Im Laufe der Zeit haben wir dann auch das inhaltliche Konzept hierfür definiert. Die Basis für all das ist jedoch unser dialogisches Prinzip: Das Radialsystem ist ein Ort der Kommunikation und des Austauschs zwischen dem Gebäude und seinen Nutzern, den Künstlern, der Kunst mit Wirtschaft und Wissenschaft.Wir setzen auf ein flexibles Hybridmodell aus eigenem Programm und Nutzung als Veranstaltungsort für Dritte. Jeder, der das Radialsystem nutzt, wird automatisch Teil des Projektes und trägt zu seinem Fortbestehen und Erfolg bei. Insofern sind wir vielleicht kein Vorbild, aber ein Zukunftsmodell.
Aktuell dominieren schlechte Wirtschaftsnachrichten die öffentliche Diskussion. Spüren Sie selbst Auswirkungen? Welche Bedeutung hat Kultur im Jahr der Krise?
Folkert Uhde: Was die Auswirkungen angeht, so waren diese für uns tatsächlich bislang nicht so schlimm wie befürchtet. Wir haben uns bei unseren Aktivitäten zum Glück recht früh auf inhaltlich ausgerichtete Veranstaltungen wie z. B. Fachkonferenzen und Tagungen konzentriert – und nicht auf Firmen-Events gebaut, die jetzt natürlich oft gestrichen wurden. Auch über diese Veranstaltungen, die Zusammenarbeit mit großen, auch öffentlichen Einrichtungen wird das Radialsystem V in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Diese Strategie ist unser Kapital und hilft uns, zu bestehen – schließlich ist das finanzielle Eis, auf dem wir uns bewegen, sehr dünn.
In der Krise ist gerade die Kultur eine Chance: Denn gerade wenn es nicht gut läuft, ist doch Kreativität gefragt. Dann muss man andere Ansätze und Lösungswege suchen und z. B. neue Konzepte entwickeln, mit denen sich Geld verdienen lässt.Ein Beispiel war unsere Reaktion auf die Absage der Popkomm dieses Jahr: Wir hielten die Streichung der Messe für einen Fehler, denn schließlich besteht im Licht der neuen Marktbedingungen enormer Diskussionsbedarf in der Branche. Dank einer internetbasierten Organisationsstruktur und einem Netz extrem engagierter Partner wie newthinking communications und Motor Entertainment ist es uns gelungen, mit der „all2gethernow“ in kurzer Zeit eine neue Plattform für Musik, Kreativität und Kultur zu schaffen.
Berlin ist sexy, aber arm: Viele Projekte in der Kulturszene sind geprägt von Selbstausbeutung der Beteiligten und dem chronischen Kampf um Fördermittel – welche Perspektiven gibt es? Was muss sich ändern?
Folkert Uhde: Grundsätzlich ist die finanzielle Situation auch großer, scheinbar arrivierter Projekte und Künstler allgemein prekär. Man darf in diesem Zusammenhang aber nicht vergessen, dass Berlin trotz der allgemein angespannten finanziellen Lage mit dem Hauptstadtkulturfonds einen einzigartigen Fördertopf für künstlerische Projekte besitzt. Neben der kreativen Atmosphäre des Ortes zieht gerade das Kulturschaffende nach Berlin.
Also sollte man das kreative Potenzial dieser Stadt noch mehr nutzen und fördern. Berlin muss eine Stadt der Gründer werden, auch und gerade im Kulturbereich. Ein Weg dahin ist, neue Modelle der Förderung zu entwickeln. Warum nicht einen „Risikokapital-Fonds“ für Kulturprojekte schaffen, der Künstlern eine Anschubfinanzierung gewährt und im Erfolgsfalls eine Gewinnbeteiligung hat? Warum nicht ein eigenes Finanzamt einrichten, das sich serviceorientiert auf die speziellen Belange der Kreativwirtschaft einstellt?
Auch sollten bei der Auswahl förderungswürdiger Projekte neue Evaluierungsmodelle etabliert werden – objektive Kriterien statt subjektiver Juryentscheidungen.
Worin sehen Sie heute und in Zukunft die größten Herausforderungen für Kulturmanagement in Deutschland?
Folkert Uhde: Hauptaufgabe ist perspektivisch, neue inhaltliche Konzepte für Kulturprojekte zu entwickeln: Es reicht nicht, nur weiter den ausgetretenen Pfaden zu folgen. Dementsprechend wird es speziell bei der Hochkultur einen starken Legitimationsdruck geben, die etablierten Institutionen hier müssen sich der Frage nach ihrer Relevanz stellen.
Unmittelbar damit verbunden ist natürlich der Umgang mit öffentlichen Fördermitteln: Die aktuelle Praxis stellt sich für mich wie ein geschlossenes System dar – ein Bus, der seitJahren die gleiche Strecke fährt, während der Fahrt betankt wird, niemals anhält und die Türen geschlossen hält. Gleichzeitig existieren rund herum viele neue, innovative Projekte, die weitgehend auf sich allein gestellt sind und keine Chance haben, in den Bus einzusteigen und ein Stück weiterzukommen.