"Dialog ist wichtiger als Einmauern" <br>Manfred Stolpe im Gespräch mit berlin-magazin.info
Macht und Freundschaft heißt die Ausstellung, die jetzt im Martin Gropius Bau eröffnet wird. Die Redaktion von berlin-magazin.info wollte - vor dem historischen Hintergrund der Schau - Meinungen zur aktuellen Einschätzung der deutsch-russischen Beziehungen abseits der tagespolitischen Ereignisse hören.
Wir haben mit Manfred Stolpe, Ex-Bundesverkehrsminister, Ex-Ministerpräsident von Brandenburg gesprochen, der sich im Vorstand des Petersburger Dialogs engagiert.
Der Petersburger Dialog ist ein offenes Gesprächsforum, das sich seit 2001 um den Dialog zwischen der deutschen und der russischen Zivilgesellschaft kümmert, gesprochen. Er steht unter der Schirmherrschaft des jeweils amtierenden deutschen Bundeskanzlers und des jeweiligen russischen Präsidenten. Das Gespräch führte Frank Tetzel.
berlin-magazin.info:
Herr Stolpe, warum ist ein Dialog zwischen den Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands notwendig?
M. Stolpe:
Der Dialog ist immer wichtiger als das gegenseitige Einmauern. Selbst wenn man den anderen hin und wieder in seiner Handlungsweise nicht versteht. Der Petersburger Dialog, den wir führen, ist dafür ein wichtiges Instrument.
berlin-magazin.info:
Sie meinen der Petersburger Dialog zwischen den Zivilgesellschaften ist auch ein Stück Sicherheitspolitik?
M. Stolpe:
Ja, selbstverständlich. Und zwar schon indem wir ihn führen. Es gab eine kurze Spanne nach der deutschen Wiedervereinigung, in der man glaubte, relativ sicher zu sein. Wir wissen jedoch, dass viele Menschen spätestens seit dem 11. September 2001 glauben, dass die Welt wieder ein gefährlicher Ort geworden ist. Gefährlicher als zu Zeiten des Kalten Krieges und ohne Hoffnung auf einen globalen Frieden. Unter dem Eindruck neuer Schrecken verblassen die vergangenen.
berlin-magazin.info:
Und was hat dies mit Russland zu tun?
M. Stolpe:
Sehr viel, schauen Sie, eine zeitlang wurde, gerade im Westen, Russland wegen einer zeitweisen Schwäche unterschätzt. Es ist und bleibt der größte Flächenstaat der Erde. Europa und vor allem Deutschland hat ein ureigenes Interesse an einem guten Verhältnis zu Russland. Und das nicht nur wegen der Rohstofflieferungen.
Natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen über verschiedene Themen. Deshalb befinden wir uns ja im Dialog. Und ich sage Ihnen eines: Bei diesen Gesprächen geht es hart zur Sache. Ich finde es aber hundertmal besser, miteinander zu reden als übereinander.
berlin-magazin.info:
Sind die deutsch-russischen Beziehungen momentan nicht eher als schlecht zu bezeichnen?
M. Stolpe:
Auch wenn viele heute sagen, die Beziehungen zu Russland hätten eine neue Frostperiode erreicht, ich denke dies nicht. Man sollte immer betrachten, woher man kommt. Der gegenwärtige Stand der Beziehungen Russlands zur EU und zu Deutschland macht mir eher Mut.
Sieg und Niederlage 1945 haben Russen und Deutsche lange getrennt. Erst in jüngster Zeit lernten wir, dass die Erinnerungen an den Krieg uns auch verbinden können.
Der damalige Bundeskanzler Schröder hat am 8. Mai 2005 in Moskau die richtigen Worte gefunden. Er nannte es zu Recht »fast ein Wunder«, dass 60 Jahre nach Ende des unsäglich grausamen Zweiten Weltkrieges nun deutsche und russische Veteranen das Kriegsende gemeinsam feierten.
In diesem Zusammenhang ist das große Wort Versöhnung einmal wirklich angebracht. Der sowjetische Sieg im Großen Vaterländischen Krieg hat einen zentralen Stellenwert für die russische Identität und ist zu Recht ein Grund für das europäische Selbstbewusstsein der Russischen Föderation.
Erst die Opfer der Russen und anderer sowjetischer Völker im Krieg gegen das Naziregime gaben den Deutschen die Chance auf einen Neuanfang. Das wird auch durch das Unrecht nicht aufgehoben, mit dem Stalin diesen millionenfachen Opfermut für seine Terrorherrschaft ausbeutete.
berlin-magazin.info:
Und die osteuropäischen Staaten, die jetzt Mitglied der EU sind, wie betrachten die eigentlich den Dialog zwischen Russland und Deutschland. Denken wir beispielsweise an Polen?
M. Stolpe:
Wir müssen unsere Nachbarn mitnehmen. Es ist unverzichtbar, auch mit Rücksicht auf die neuen osteuropäischen Mitglieder der EU, dass die stalinistische Unterdrückung in einem Europa der Rechtsstaatlichkeit als Verbrechen anerkannt und nicht vergessen wird.
Uns verbindet auch eine gemeinsame Geschichte des Strebens nach Demokratie. Die Dissidenten in der Sowjetunion und die gescheiterten Aufstände im Ostblock waren wichtige Voraussetzungen für die Perestroika und die eigentlichen Wurzeln der demokratischen Revolution von 1989.
Der Stolz auf den demokratischen Neubeginn eint Ost und West und führt uns, über nationale Gegensätze hinweg, zusammen. Russland kommt als europäische Kraft eine besondere Rolle zu. Deswegen verfolgt Deutschland die Idee einer strategischen Partnerschaft, der sich auch die Europäische Union angeschlossen hat. Zu dieser Partnerschaft gehören gleichberechtigt eine politische, eine wirtschaftliche und auch eine gesellschaftliche Dimension.
berlin-magazin.info:
Gibt es einen deutschen Sonderweg?
M. Stolpe:
Deutschland versteht sich angesichts seiner Geschichte als ein Bindeglied zwischen Russland und der Europäischen Union. Wir wollen den Dialog zwischen Russland und der EU – und der NATO – intensivieren, um politische Stabilität, dauerhafte Sicherheit und wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen.
Nie waren - trotz der momentanen leichten Verwerfungen - die Chancen dafür besser, und wir tun gut daran, neuen Spannungen und Spaltungen entgegenzuwirken.
In kritischen Zeiten sollte man sich an das schon Erreichte erinnern. Das dient der Orientierung, nicht nur beim Dialog mit Russland, sondern auch bei den Beziehungen innerhalb der EU.