Reichstag: Sitz des Bundestages
Das Reichstagsgebäude am Platz der Republik, dem früheren Königsplatz, ist eines der geschichsträchtigsten Gebäude Deutschlands. Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazidiktatur, Teilung Deutschlands sind die Stationen, die nicht spurlos an dem Gebäude vorübergegangen sind.
Erster Sitz des deutschen Reichstages nach der Reichsgründung war das Preußische Abgeordnetenhaus in der Leipziger Straße 4. Doch schnell stellte sich heraus, dass dieses Haus zu klein war. Wie immer, wenn derartige Probleme aufreten, setzte man eine Kommission ein, die ein neues, repräsentatives Grundstück finden sollte.
Der Königsplatz war allgemein akzeptiert, doch hätte das Palais des Grafen Atnazy Raczynski weichen müssen, der sich jahrelang standhaft weigerte zu verkaufen. Erst seine Erben ließen sich fürstlich abfinden, so dass der Weg frei wurde für einen Neubau.
Paul Wallot gewinnt Architektenwettbewerb
Einen ausgeschriebenen Architekturwettbewerb konnte der Frankfurter Paul Wallot für sich entscheiden.
Die kommenden Realisierungsjahre waren für den Architekten nicht immer eine Freude, vermochten doch sowohl die Mitglieder der Akademie für Bauwesen, als auch die Bauabteilung des federführenden preußischen Ministeriums zahlreiche bürokratische Hürden aufzustellen. Einige Mitglieder der Akademie hatten ebenfalls bei dem Wettbewerb Entwürfe eingereicht und waren schlechte Verlierer.
Kaiser kommt zur Grundsteinlegung
Zur Grundsteinlegung erschien vor allem das Haus Hohenzollern in Form des Kaiser Wilhelm I., und der späteren Käiser Friedrich III. und Wilhelm II.
Die stetigen Änderungswünsche machten vor allem die Vollendung der steinernen Kuppel aus dem Ursprungsplan Wallots schwierig, weil sie durch die verschiedenen Einsprüche nun an einer völlig anderen Stelle in den Himmel ragen sollte.
Kuppel aus Glas und Stahl
Zweifel an der Statik und lange Verhandlungen brachten schließlich das Ergebnis, die steinerne Kuppel nicht zu errichten und dafür auf eine Variante aus Stahl und Glas auszuweichen.
Der Kaiser als Kritiker
Die Kuppel konnte das Plenum der Parlamentarier mit natürlichem Licht versorgen und galt als Sinnbild moderner deutscher Ingenieursleistung. Kaiser Wilhelm II. stand dem Bau zunehmen skeptisch gegenüber. „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ waren noch die eher harmloseren Äußerungen über das Haus, das er in kleinem Kreis auch schon mal „Reichsaffenhaus“ nannte.
Viele Architekten ließen an dem Parlamentsbau ebenfalls kein gutes Haar. „Leichenwagen erster Klasse“ wurde er von einem Kollegen Wallots genannt. Am 5. Dezember 1894 konnte das Gebäude eingeweiht werden. Die Baukosten beliefen sich auf 24 Millionen Mark.
Weitere künstlerische Arbeiten
Die künstlerischen Arbeiten gingen nach der Schlusssteinlegung allerdings noch weiter: Das gesamte Gebäude sollte die Einheit des Reiches, die 1871 erreicht worden war, bildlich und figürlich darstellen. Das Reichswappen im Giebel über dem Haupteingang und die Kaiserkrone auf der Kuppelspitze symbolisierten dies. Andererseits tauchten die deutschen Bundesländer als Teil des Reiches an verschiedenen anderen Stellen auf.
Eine besondere Rolle kommt der Inschrift zu, die schon der Architekt Wallot bestimmt hatte: „DEM DEUTSCHEN VOLKE“. Sie wurde erst 1916 angebracht. Man sagt, um die Stimmung der Bevölkerung, die sich in einem harten Kriegswinter befand, zu heben. Geschaffen hat die Inschrift der Architekt Peter Behrens, der sich mit eleganten Industriebauten einen großen Namen gemacht hatte.
Ausrufung der Republik
Während der deutschen Revolution vom November 1918 rief am Nachmittag des 9. November 1918 der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Phillip Scheidemann, die „Deutsche Republik“ aus. Eine Gedenktafel weist darauf hin. „Arbeiter und Soldaten! Furchtbar waren die vier Kriegsjahre. Grauenhaft waren die Opfer, die das Volk an Gut und Blut hat bringen müssen. Der unglückselige Krieg ist zu Ende. Das Morden ist vorbei. Die Folgen des Kriegs, Not und Elend werden noch viele Jahre lang auf uns lasten. Seid einig, treu und pflichtbewusst! Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue! Es lebe die Deutsche Republik!“ Nur wenige Stunden später rief Karl Liebknecht vom Portal des Berliner Stadtschlosses die „Freie Sozialistische Republik" aus.
Weimarer Republik
Die erste wirkliche Zeit eines demokratischen Parlamentarismus erlebte der Reichstag in der Weimarer Republik. Doch Kommunisten, als auch später die Nationalsozialisten waren Gegner der Demokratie und verlegten ihre Kämpfe auf die Straße.
In der Weimarer Zeit platze der Reichstag aus allen Fugen, das Wahlrecht ließ teilweise bis zu sechshundert Abgeordnete in den Bau einziehen, so dass Arbeitsräume an allen Ecken und Enden fehlten. Pläne für einen Erweiterungsbau wurden niemals umgesetzt.
Reichstagsbrand
Bei den Nationalsozialsten spielte das Haus eine gewichtige Rolle bei der Abschaffung der letzten demokratischen Rechte der Weimarer Republik. In der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933, vier Wochen nach Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, gingen die Kuppel, der Plenarsaal und einige Räume in Flammen auf. Unstrittig war, dass es sich um eine Brandstiftung handelte. Die eigentliche Schuldfrage ist bis heute nicht geklärt. Auf alle Fälle handelt es sich um einen der spannensten Kriminalfälle des zwanzigsten Jahrhunderts.
Terror gegen links
Noch in derselben Nacht gingen die Nationalsozialisten mit massivem Terror gegen politische Gegner vor. Sie waren es auch, die den greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg drängten, am folgenden Tag die Reichstagsbrandverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ zu unterzeichnen. Paragraph 1 setzte die verfassungsmäßigen Grundrechte zeitweilig außer Kraft, Paragraph 5 ermöglichte die Todesstrafe für das politische Delikt „Hochverrat".
Bei den Umbaumaßnahmen nach der Wiedervereinigung wurde ein Gang mit Heizungsrohren entdeckt. Er verband einst das Reichstagsgebäude mit dem Reichstagspräsidentenpalais. Angeblich sollen Angehörige der SA diesen Gang benutzt haben, um in den Reichstag und zurück zu gelangen, und auf diese Weise ungesehen den Brand zu legen. Auch heute noch wird der Reichstagsbrand sehr kontrovers diskutiert.
Anklage gegen die Kommunisten
Im Mai 1933 kam es zur Anklage gegen den niederländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe und andere Kommunisten, unter ihnen Georgi Dimitroff. Lubbe wurde zum Tode verurteilt, die anderen Mitangeklagten aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der geplante Schauprozess war für die Nationalsozialsiten ein Reinfall, die Rededuelle zwischen Dimtroff und Hermann Göring und Joseph Goebbels gewann ganz eindeutig der Angeklagte.
Nach dem Verbot der demokratischen Parteien, beziehungsweise nach deren Selbstauflösung tagte der Reichstag in der benachbarten Krolloper. Zwar wurde die Reichstagskuppel wieder instand gesetzt, doch sonst ließ man es so, wie es war. Im Zweiten Weltkrieg zog eine Abteilung der benachbarten Charité in das inzwischen zugemauerte Gebäude.
Kriegsende und ein nachgestelltes Foto
Ein weltberühmtes Foto zeigt Michail Petrowitsch Minin die rote Fahne am Reichstag hissen. Für die Russen war der Reichstag ein Symbol des verhassten faschistischen Deutschlands, obwohl das Gebäude in den zwölf Jahren keine Funktion im Machtapparat der Nazis hatte. Neun rote Sowjetfahnen waren extra aus Moskau eingeflogen worden.
Am 30. April 1945 wurde eine Fahne als „Banner des Sieges“ auf der Kuppel des Gebäudes aufgepflanzt. General Kusnezow erstattete seinem Feldmarschall Schukow Meldung: „Unser rotes Banner weht auf dem Reichstag. An einigen Stellen der oberen Stockwerke und in den Kellern wird immer noch gekämpft." Das Banner des Sieges kam zur Siegesparade am 20. Juni 1945 nach Moskau und befindet sich heute im russischen Armeemuseum. Für die sowjetische Wochenschau wurde das Foto nachgestellt.
Auferstanden aus Ruinen
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die umliegenden Flächen der Reichstagsruine als Kartoffel- und Gemüsebeete genutzt. Die Kuppel wurde im November 1954 gesprengt. Das Gebäude, direkt an der russischen Sektorengrenze sollte jedoch nach einem Beschluss des Bundestages aus dem Jahre 1955 wieder aufgebaut werden.
Wiederaufbau
Beim Wiederaufbau verzichtete man auf die Wiedererrichtung der Kuppel, trug Ornamente ab und reduzierte die Höhe der Ecktürme.
Seit 1971 wurde in dem Gebäude die Ausstellung „Fragen an die Deutsche Geschichte“ gezeigt. Ein symbolträchtiger Ort, verlief doch die Berliner Mauer nur wenige Meter östlich des Reichstages.
Neue Metarmorhose
Mit dem Fall der Berliner Mauer begann eine neue Metamorphose des Gebäudes.
In dem Beschluss des Bundestages vom 20.Juni 1991 heißt es kurz und bündig: „Sitz des Deutschen Bundestages ist Berlin."
Doch vor dem Umzug von Bonn nach Berlin benötigten die Abgeordneten einen vernünftigen Plenarsaal, so dass das Reichtagsgebäude wiederum umgebaut werden musste.
Norman Forster gewinnt Wettbewerb
Der englische Architekt Sir Norman Forster erhielt den Zuschlag, wobei sein erster Entwurf eines freistehenden transparenten Daches, das weit über das eigentliche Gebäude hinausragte, schnell als „größte Tankstelle Deutschlands“ abgetan wurde.
Doch Forsters völlig neue Überarbeitung gefiel und setzte sich gegen Santiago Calatrava und Pi de Bruijn durch.
Christo verhüllt den Reichstag
Bevor der Reichstag entkernt und von Asbest befreit wurde, machte er durch eine spektakuläre Kunstaktion auf sich aufmerksam. Das Ehepaar Christo verpackte das Gebäude vom 24. Juni bis zum 7. Juli 1995 in ein silberglänzendes, feuerfestes Gewebe und verschnürte ihn darüber hinaus mit blauen, drei Zentimeter starken Seilen. Fünf Millionen Besucher waren in den zwei Wochen an diesem völlig verzauberten Ort.
Umbau mit historischem Fingerspitzengefühl
Respekt vor der historischen Gebäudesubstanz und Spuren der Geschichte sichtbar zu lassen, waren Forderungen an den Architekten, der diese sensible Aufgabe meisterte. Die Inschriften der Rotarmisten aus den Maitagen 1945, „Hitler kaputt" und ähnliches, sind heute noch sichtbar.
Im Prinzip wurde beim Umbau des Reichstagsgebäudes ein Neubau im Altbau errichtet. Er umfasst den Plenarsaal, der sich über alle drei Hauptgeschosse erstreckt, und die Presselobby im dritten Obergeschoss.
Die Nord- und Südflügel, etwa zwei Drittel des Gebäudes, verblieben als historischer Bestand und wurden lediglich saniert. Der Plenarsaal ist 1.200 Quadratmeter groß. Die dritte Etage ist für die Abgeordneten bzw. die Fraktionen vorgesehen. Im Neubau wurden hauptsächlich Glas, Sichtbeton und Stahl eingesetzt, im Alten Teil des Hauses ein in hellen, warmen Farbtönen gehaltener Kalk- und Sandstein.
Die Kuppel
Der Demokratie aufs Dach steigen: Kaum jemand ahnte, dass die nachträglich konzipierte Kuppel einen solchen Erfolg feiern würde. Sie ist neben dem Brandenburger Tor das Wahrzeichen Berlins geworden. Über das Westportal, in dem eine Sicherheitskontrolle erfolgt, gelangt man über zwei Fahrstühle auf das Dach des Reichstagsgebäudes.
Vom Dach aus gelangt man in die 38 Meter im Durchmesser messende Kuppel, die sich bis zu 23,5 Meter in den Himmel schiebt. Forster entwickelte ein Stahlskelett aus 24 Rippen und 17 waagerechten Ringen, die dann mit Glas verkleidet wurden. Darauf befinden sich 3000 Quadratmeter Glas-Fläche. In der Innenseite führt Forster zwei gegenläufige Rampen zu einer Aussichtsplattform 40 Meter über dem Boden.
Fast zwanzig Millionen Besucher haben den Reichstag inzwischen schon besucht.
Nützliche Informationen
Reichstag
Platz der Republik
10557 Berlin
030 22 73 21 52
Öffnungszeiten
Täglich von 8-24 Uhr; letzter Einlass um 23 Uhr
Eintritt frei
Infos zur Anmeldung
Kuppel und Dach des Reichstages können nur mit vorheriger Anmeldung besichtigt werden